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K. oder Die verschwundene Tochter - Roman

K. oder Die verschwundene Tochter - Roman

Titel: K. oder Die verschwundene Tochter - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Transit
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Krieg. Bis heute weiß man nicht, ob er sich nicht gemeldet hat, weil er mit den Nazis sympathisierte oder weil die Amerikaner ihn aus genau diesem Grund daran hinderten.«
    Der entlassene General klappt den Almanach zu. Es reicht. Es war mehr als genug, um zu verstehen.

    Die Erpresser
    Ja, er war es. Obwohl er ihn nur ein einziges Mal im Dunkeln gesehen hatte, erkannte K. diese Züge, dieses ovale aufgedunsene Gesicht, den dichten Schnurrbart, die breite Stirn. Ein Feldwebel. Er hat sich in jener Nacht als General ausgegeben und ist nur ein Unteroffizier. Er erinnerte sich noch, wie sie ihn auf dem Rücksitz des Wagens eingekeilt hatten, der falsche General hatte sich auf der einen und der Dünne, der aussah wie ein Verbrecher, auf der anderen Seite an ihn gedrängt.
    Wieso erschien der Dünne nicht bei der Gerichtsverhandlung?
    Der falsche General hatte behauptet, seine Tochter ausfindig gemacht zu haben. Er würde ihm einen Brief, den sie geschrieben hatte, mitbringen und dafür wollte er Geld. Sie haben eine Farce aufgezogen. Jetzt stand der Betrüger vor Gericht. Nicht er, K., hat das Verfahren angestrengt, er will sich nicht rächen, nur wissen, was geschehen ist: der falsche General wird von den Militärs selbst vor Gericht gestellt.
    K. hatte gar nichts von der Existenz eines Militärtribunals gewusst. Als er die Vorladung bekam, mit dem Siegel und der Unterschrift eines Heeresgenerals, schöpfte er Hoffnung. Schließlich war er von hohen Militärs herbestellt worden, damit das Verschwinden seiner Tochter aufgeklärt wurde.
    Ein Oberst, so steht es vor ihm auf dem Schild, mit Name und Dienstgrad versehen, hat den Vorsitz, flankiert von einem zweiten Oberst und einem Zivilisten, der einen Richtertalar trägt. Der Angeklagte sitzt unten in dem kleinen, menschenleeren Gerichtssaal, seitlich von dem hohen Richterpult.
    Manchmal denkt K., dass so etwas früher oder später hatte passieren müssen. Irgendwann musste ein widerwärtiger Abzocker auftauchen und Informationen gegen Geld anbieten. Vielleicht sogar mit dem Versprechen, seine Tochter zu retten, wenn es denn viel Geld wäre. War es nicht so in Polen gewesen, als die Parteigenossen Geld gesammelt hatten, um ihn aus dem Gefängnis herauszuholen?
    Wenn die Repression in Polen auch hart war, so wurde ein Gefangener doch registriert und seine Familie benachrichtigt. Danach kam es zu einer Verhandlung. Es gab Anklage und Verteidigung, Gefängnisbesuche. Dort verschwanden Gefangene nicht einfach so.
    Manchmal sah er in den Polizisten und Militärs die Menschen, gute oder schlechte, einige konnten sogar helfen, denn sie hatten Mitgefühl, andere waren Erpresser, und unter diesen gab es solche, die ihre Versprechen hielten und solche, die ihre Opfer aussaugten; letztgenannte sind sozusagen Unmenschen, es sind Kranke, wie dieser betrügerische Feldwebel; aber man musste es riskieren und er hatte es riskiert.
    Ein andermal bereute er es, daran geglaubt zu haben, dass man gegen Geld die Mauer des Schweigens einreißen könnte, die man um den Menschen verschlingenden Strudel errichtet hatte, was noch nicht einmal den höchsten Persönlichkeiten gelungen war. Er konnte nicht wissen, dass vierzig Jahre später diese Mauer immer noch stehen würde, intakt. Aber er wusste bereits, dass alles sehr undurchsichtig war, sodass niemand etwas in Erfahrung bringen konnte. Wie hatte er nur so blauäugig sein können?, fragte er sich in diesen anderen Momenten.
    Die Aussagen werden zu Protokoll genommen. Er erzählt, wie alles passiert ist. Er verschweigt lediglich, dass er über diesen Praktikanten aus der Anwaltskanzlei Kontakt zu dem Pseudogeneral bekommen hatte. Im entscheidenden Moment hatte der Praktikant ihn allein an der dunklen Straßenecke der Alameda Barão de Limeira zurückgelassen, ihn den von ihm eigens vermittelten Erpressern ausgeliefert.
    Wie hätte er allein die Situation richtig einschätzen können? Natürlich war er misstrauisch gewesen. Als Beweis dafür, dass seine Tochter noch am Leben war, hatte er darauf bestanden, dass sie den Brief mit dem Kosenamen unterschrieb, den nur er zu verwenden pflegte. Die Verbrecher konnten ihn nicht kennen und erfanden etwas Falsches.
    Was K. nicht verstand, war, dass er sich trotzdem zu dem vorbestimmten Ort begeben hatte. Manchmal denkt er, es war, um sich zu streiten. Und wenn sie in der Tat seine Tochter ausfindig gemacht hatten, das Schreiben aber aus irgendwelchen unvorhersehbaren Gründen nicht mitbringen konnten?

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