K. oder Die verschwundene Tochter - Roman
Ja, das waren wohl seine Gedanken an jener dunklen Straßenecke gewesen. Ein Funken Hoffnung. Die Hoffnung hat ihm ein Schnippchen geschlagen.
Die Geschichte wurde in den Zeitungen veröffentlicht. Nicht auf Initiative von K. hin, der sich schämte, hinters Licht geführt worden zu sein. Er hatte sie bei dem Treffen der Familienangehörigen der Verschwundenen erzählt, um sie zu warnen, damit sie nicht auch bestohlen wurden. Ein Journalist erfuhr davon und machte sie publik. Die Militärs inszenierten den Prozess, um zu beweisen, dass seine Tochter nie verhaftet worden war. Der falsche General stand nicht vor Gericht, weil er erpresserisch gehandelt hatte, sondern weil er die Streitkräfte in ein schlechtes Licht gerückt hatte. Das war K. klar.
Die Aussagen setzen sich fort. Jetzt befragen sie den Feldwebel. Er stammelt ein paar Worte der Reue, gibt zu, nie gesehen zu haben, dass man die Frau festhielt und auch weiter nichts zu wissen, alles sei von A bis Z erfunden. Seinen Komplizen, den Dünnen, erwähnte er nicht.
K. interessiert das Schicksal des Betrügers nicht. Das alles gehört zur Vergangenheit. Aus und vorbei. Er ist hergekommen, um anlässlich dieses offiziellen Kontakts mit der Justiz, dem ersten und einzigen, nach seiner Tochter zu fragen. Schließlich war ihr Verschwinden der Grund für all dies. Deshalb hatte er darauf bestanden, dass der junge Anwalt ihn zu dem Militärtribunal begleitete. Der würde es verstehen, im richtigen Augenblick Aufklärung über das Verschwinden der Tochter zu verlangen. Aber der Anwaltspraktikant versagte ein zweites Mal. Er erschien nicht.
K. erinnert sich erneut an das Schweigen des berühmten Anwalts, den er hinzugezogen hatte, um das Recht auf Habeas Corpus geltend zu machen, als sein Praktikant, ein Neuling, sich eifrig in das Gespräch gemischt und die Möglichkeit eines Kontakts zu »Leuten, die zum Kern des Systems gehören« erwähnt hatte. Es sei eine Frage des Geldes, sagte der Praktikant und senkte die Stimme, das habe überhaupt nichts mit dem Habeas-Corpus-Gesuch zu tun, es sei ein weiterer Versuch.
K. hätte die Zurückhaltung des berühmten Anwalts als Warnung interpretieren sollen: Vorsicht, dieser Junge ist naiv, hat gute Absichten, ist aber naiv. Das war sein erster Fehler gewesen. Er hatte die Haltung des berühmten Anwalts nicht verstanden. Dieser war in der Tat ein integrer Mann, das merkte man an der Unerschrockenheit, mit der er all die politisch Verfolgten verteidigte, als ginge es bei dem Verfahren um Menschlichkeit.
Doch wie das Angebot des Praktikanten ablehnen, wenn sogar dieser großartige Rechtsanwalt ihm bedauernd mitgeteilt hatte, dass das Habeas Corpus mit Sicherheit abgelehnt würde, denn die Militärs hatten die Gewährung solcher Gesuche im Fall politisch motivierter Verhaftungen verboten. Wir erleben ein Paradoxon – erinnert er sich an die Worte des großen Anwalts –, sie geben zu, dass sie politische Gründe haben, jemanden zu verhaften, bestätigen aber nicht, dass sie ihn verhaftet haben.
K. verfolgt nun desinteressiert die Verlesung der Anklageschrift des Militäranklägers. Er denkt über die Folgen der Gelderpressung nach. Die wichtigste davon war nicht das verlorene Geld, was bedeuteten schon dreißigtausend im Vergleich zu dem Leben seiner Tochter? Der Wert eines Wagens gegen den unendlichen Wert eines Menschenlebens. Auch nicht das Eingeständnis, getäuscht worden oder im entscheidenden Augenblick, als er bereits wusste, dass alles nur eine Farce war, schwach geworden zu sein.
Nein, das Schlimmste kam später, als eine neue Gelegenheit auftauchte, als dieser Rabbi ihn an einen Typen mit deutschem Namen verwies, der in Rio lebte und schon eine junge Frau freibekommen hatte. Eine Jüdin. Er kannte die Familie der jungen Frau und ließ sich das bestätigen; es entsprach der Wahrheit. Das Mädchen war schon im Ausland. Der einzige verbriefte Fall.
K. vereinbarte am Telefon einen Termin und fuhr mit dem Nachtbus nach Rio. Der etwa vierzigjährige Mann, in einen eleganten Leinenanzug gekleidet, bat ihn noch nicht einmal herein. Auf dem Bürgersteig der Avenida Copacabana teilte er ihm mit, dass der Kommissar, der für das alles zuständig war, ihm einen großen Gefallen schulde. Dass er einmal einen »Schinken« für den Kommissar in seinem Kofferraum transportiert habe. Eine Leiche, wiederholte er, als er merkte, dass K. nicht verstanden hatte, worum es ging. Er habe dem Kommissar aus der Patsche geholfen. Er könne
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