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K. oder Die verschwundene Tochter - Roman

K. oder Die verschwundene Tochter - Roman

Titel: K. oder Die verschwundene Tochter - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Transit
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Die Übergangenen fallen, ohne einen Schuss abzufeuern. Sie fallen raus. Ein Offizier kann nicht auf der gleichen Rangstufe sitzenbleiben.
    »Damit er zum General befördert wird, braucht der Oberst einen Wohltäter, er muss zu einer Seilschaft gehören, zu einem General, der ihn beschützt.«
    Lange bevor er den Rang eines Oberst erwirbt, muss der Offizier schon in diese Seilschaft investieren, durch Speichellecken und Untertänigkeit. Er macht sich auf Dauer zum Adlatus des Generals.
    »Der hier war mein Schüler bei der Ausbildung als Fallschirmjäger. Er hat sich zu einem Verfechter der Legalität entwickelt, wie ich. Als ich mich dem Putsch widersetzt habe, zog er mit. Als ich gehen musste, musste er auch gehen. Aber die Mehrheit meiner Untergebenen hat mich verraten, sie haben sich auf die Seite der Putschisten geschlagen.«
    Es gibt zwei Möglichkeiten, sich die Beförderung zu sichern, den Lakaien eines Generals zu machen oder den Namen des Rivalen auf der Beförderungsliste zu bekleckern. Kriecher und Verräter. Formen, die sich mal abwechseln, mal ergänzen. Es kann auch dazu kommen, dass man den eigenen General verraten muss. Der Verrat ist die logische Folge der opportunistischen Loyalität. In der militärischen Korporation öffnet sich ein Offizier niemals zur gleichen Zeit gegenüber zwei anderen. Nur gegenüber einem einzigen; so weiß er, falls er verraten wird, wer ihn ans Messer geliefert hat. Verrat ist auch eine Kunst.
    »Luís Carlos Prestes hat diese Vorsichtsmaßnahmen auch in der Fünften Kolonne übernommen und danach in den Sicherheitsregeln innerhalb der Partei festgeschrieben, zumal er fast immer im Untergrund lebte. Das hat dazu geführt, dass er die Partei zu einer noch geheimeren Organisation gemacht hat, als sie es schon war – unter keinen Umständen Treffen von mehr als zwei Personen und das auch nur im Flüsterton.«
    Gewohnheiten schaffen Werte. Die Praxis des Verrats und der Dissimulation fließt in das militärische Ethos mit ein. Die Werte verkehren sich in ihr Gegenteil. Alle sind sie Esterházys; keiner ein Dreyfus; an Stelle der Tapferkeit die Grausamkeit; die Entehrung an Stelle der Ehre; das arme Volk als Feind; die Bösartigkeit in ihrer extremsten Ausprägung. Durchschnittene Kehlen in Canudos; Hinrichtungen von Gefangenen, fast noch Kinder, nach ihrer Kapitulation am Araguaia, 1974; Zerstückelung von Leichen, um sie als »verschwunden« deklarieren zu können. Auf ein scheußliches Verbrechen folgt ein für eine hierarchische Organisation widersprüchliches, auf der neuen Werteskala aber logisches Verbrechen: die Vernichtung der Beweismittel.
    »Dieser hier ist der einzige General, der sich meines Wissens bemüht hat, dass mit der Folter Schluss gemacht wird.«
    Obwohl er zur extremen Rechten gehörte, war der General Spiritist; als er von den Folterungen erfuhr, tauchte er überraschend in der Rua Barão de Mesquita auf und erteilte Befehl, alles sofort zu stoppen. Spiritisten lassen es nicht zu, dass Lebewesen, egal ob Mensch oder Tier, gequält werden, denn sie glauben an die Reinkarnation; für sie ist der Körper die provisorische Wohnstätte der Seelen unserer Vorfahren, die verehrt und respektiert werden müssen. Es könnte sein, dass einer den Urgroßvater oder die eigene Mutter foltert, falls sie bereits gestorben ist.
    »Kaum war er wieder weg, schon setzten sie ihr Handwerk fort. Nun ja, er hat ja auch niemanden entlassen, die Verantwortlichen weder intern noch in der Öffentlichkeit bloßgestellt.«
    Nach der vorherrschenden neuen Militärdoktrin, der psychologischen Bekämpfung des politischen Gegners, kann der Feind in jedem einzelnen von uns schlummern, bisweilen noch in latenter Form; in einem Theaterschauspieler, einem naiven Jugendlichen, einem aufmüpfigen Mädchen, einem progressiven Geistlichen. Nach dieser Doktrin kann nur die Folter die subversive Veranlagung des Verdächtigen aufdecken. Genau wie zu Zeiten der Inquisition, als die Folterinstrumente dazu dienten, den Hexen die Teufel auszutreiben und die Scheinheiligkeit der Ketzer und Neuchristen zu entlarven.
    »Dieser hier ist der intelligenteste und grausamste von allen. Selbstverständlich von der Artillerie. Daher hat er die langsame, sukzessive und sichere Öffnung vorgeschlagen, er wusste, dass alles zu Ende war. Er gehört zur alten Schule, er hätte sich bei dem Brasilianischen Expeditionskorps melden können, hat er aber nicht; er hat nie eine Schlacht geschlagen, war nie in einem

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