K. oder Die verschwundene Tochter - Roman
die Tochter freibekommen, vorausgesetzt, sie lebe noch. Aber es würde teuer werden. Sehr teuer. Haben Sie eine Immobilie?, fragte er. Dann verkaufen Sie sie. Es wird ungefähr so viel kosten wie ein Einfamilienhaus.
K. konnte es nicht glauben. Er verfolgte die Sache nicht weiter. Vielleicht, weil schon so viel Zeit vergangen war. Oder weil er bereits ein erstes Mal getäuscht worden war und vermeiden wollte, dass es ein zweites Mal passierte. Das war die wichtigste Auswirkung der Erpressung. Hätte er sich nicht zum Narren machen lassen, wäre er vielleicht mit diesem Typen mit dem deutschen Namen ins Geschäft gekommen. Er wäre das Risiko eingegangen.
Höchstwahrscheinlich wäre nichts dabei herausgekommen, höchstwahrscheinlich war seine Tochter damals bereits tot, wie heute alle behaupten. Aber K. hätte nicht mit dem bitteren Gefühl leben müssen, nicht alles getan zu haben, was er hätte tun können, um seine Tochter zu retten. All das war die Schuld dieses Schufts, der dort vor ihm saß. Doch K. hasst ihn dafür nicht. Er empfindet Abscheu, das schon. Die Verachtung gegenüber jenen, die sich das Unglück der anderen zunutze machen und neues Unglück hinzufügen.
Der Vorsitzende Richter schlägt mit einem Hämmerchen auf den Tisch. Er verliest das Urteil. Dem Angeklagten, Feldwebel Valério, wird der Dienstgrad aberkannt und er bekommt eine Freiheitsstrafe von einem Jahr. Anschließend wird er aus der Armee entlassen wegen Verleumdung der Streitkräfte durch die in verbrecherischer Absicht verbreitete Falschinformation, in militärischen Einrichtungen seien Zivilisten als Gefangene festgehalten worden.
»Und was ist mit meiner Tochter?«, fragt K. nach der Urteilsverkündung, indem er aufspringt. »Wo ist meine Tochter?«, wiederholt er schreiend.
Der vorsitzführende Oberst sieht ihn drohend an. Er schlägt erneut mit dem Hammer auf den Tisch und verkündet, die Sitzung sei damit geschlossen. Mit lauter Stimme fügt er hinzu: »Man nehme ins Protokoll auf, dass in Übereinstimmung mit dem Geständnis des Beschuldigten keine Zivilperson jemals in einer militärischen Einrichtung festgehalten wurde, der Beschuldigte hat alles nur vorgetäuscht.«
»Was ist mit meiner Tochter?«, stammelt K. nun und schaut auf der Suche nach einer Antwort, einer Zustimmung in Richtung der leeren Zuschauerbänke..
Die drei Richter erheben sich gleichzeitig, abrupt. Zwei hünenhafte Soldaten mit Helm und der Armbinde der Heerespolizei führen den Verurteilten durch eine Seitentür ab. Zwei andere, ebenfalls groß und kräftig, nähern sich K. und zeigen ihm die Ausgangstür. Genötigt durch die zwei Soldaten, die sich bedrohlich links und rechts von ihm postieren, verlässt K. langsam den Raum.
Die Sitzung des Institutsrats
An dem langen, schweren Mahagonitisch mit den kunstvoll geschnitzten Kanten, wie es sich für das Mobiliar einer Universität gehört, nehmen acht ehrwürdige Professoren des Instituts für Chemie Platz sowie Fachbereichsleiter, renommierte Wissenschaftler, zu denen auch Ivo Jordan, Spezialist für die Kernspaltung des Uranisotops zählt; Newton Bernardes, ein Fachmann auf dem Gebiet der Materialkunde und Metry Bacila, Vorreiter in der Meeresbiologie. Das Institut für Chemie genießt als wissenschaftliche Einrichtung einen hervorragenden Ruf, was auf den Einfluss der Deutschen Heinrich Hauptmann und Heinrich Rheinboldt zurückzuführen ist, der beiden Vordenker auf dem Gebiet der chemischen Wissenschaft in Brasilien, wohin es sie auf der Flucht vor den Nazis verschlagen hat.
Zu dem Zeitpunkt, als diese Sitzung abgehalten wird, ist das Institut erst fünf Jahre alt. Giuseppe Cilento, der für die Koordination des Gründungsakts zuständig war und einzelne Fachbereiche und Forschungseinrichtungen aus verschiedenen Einheiten der Universität São Paulo zusammengeführt hat, ist ebenfalls anwesend. Aufgebaut mit Geldern der Ford Foundation, nimmt der beeindruckende Chemie-Komplex, wie das Institut üblicherweise genannt wird, den gesamten östlichen Hügel des Campus ein.
Dies ist die 46. der allmonatlichen Sitzungen des Institutsrats, des obersten Organs der Einrichtung. Es ist der 23. Oktober 1975. Neunzehn Monate sind seit dem Verschwinden der Tochter von K. vergangen, die als Assistenzprofessorin an der Universität lehrt. Ein Punkt auf der Tagesordnung ist der vom Rektorat übermittelte Vorgang Nr. 174899/74, der Antrag auf Kündigung ihres Dienstverhältnisses »wegen Nicht-Erscheinens am
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