K
Serge.
»Plage – wie?«, bellt sein Vater. »Ach so, ja! Nun, treten diese elektrischen Störungen erst einmal auf, überdauern sie den Moment ihres Entstehens. Und wenn sie unbegrenzt
bleiben, kann man sie auch unbegrenzt nachweisen, n’est-ce pas?«
»Aber womit?«
»Womit?«, wiederholt sein Vater. »Na ja, durch entsprechende Instrumente natürlich. Gerade du solltest das doch wissen!« Er schaltet eines der vielen Funkgeräte ein, die hinter ihm auf den Regalen stehen. Während es warm wird und ein vertrautes Pfeifen und Knistern von sich gibt, dreht er an der Wählscheibe. Statisches Rauschen geht in Musik, dann wieder in Rauschen über, anschließend hört man eine Stimme, die offenbar Sportergebnisse vorliest. Stimmen über den Empfänger zu hören ist etwas Neues, fing in diesem Jahr an, dem ersten der neuen Dekade. Wenn man heutzutage durch den Äther fischt, fängt man jede Menge kleiner Stationen auf, die verständliche, ausformulierte Worte ins Wer-weiß-wohin senden: Lieder, persönliche Nachrichten, Redeschnipsel, deren Ziel und Zweck Serge nicht erraten kann, obwohl er ihnen stundenlang zuhört, fasziniert vom Singsang der Stimmen, der Bilder, die sie heraufbeschwören, dem Auf und Ab der Wiederholungen. Die Reihungen von Namen und Zahlen weichen vertrauten Morsetönen, dann wieder statischem Rauschen. Sein Vater dreht noch an der Wählscheibe, als er sich zu Serge umwendet und fragt: »Was glaubst du, was das hier ist?«
»Wie meinst du das?«
»Das hier, was ist das?«, wiederholt sein Vater.
»Nachrichten«, antwortet Serge.
»Von wann?«, gibt sein Vater zurück.
»Von überallher.«
»Ich habe nicht gefragt, von wo; ich habe gefragt: von wann?«
»Wann? Von jetzt …«
»Aha!«, wiehert sein Vater. »Und da irrst du – zumindest hast du nicht völlig recht.« Er beugt sich zu Serge vor und sagt
in verändertem Ton: »Funkwellen enden nicht einfach, nachdem sie für eine Störung im Äther gesorgt haben: Sie bleiben, sammeln sich in der Luft und verursachen Interferenzen. Die Hälfte des statischen Rauschens, durch das wir uns da gerade gehört haben, wird von Rückständen alter Transmissionen verursacht. Sie sammeln sich an und werden immer mehr, je mehr wir ausstrahlen.«
»Und das macht unsere Bäume krank?«, fragt Serge ihn ungläubig.
Sein Vater kippt den Portwein in einem Zug, langt hinter seinen Arbeitstisch und holt ein Gerät hervor, eine handgroße Schachtel mit einer Nadel hinter einer Glasscheibe.
»Was ist das?«, fragt Serge.
»Ein Amperemeter«, antwortet sein Vater. »Komm mit.«
Rasch trinkt Serge das Glas aus und folgt seinem Vater in den Mosaikgarten; der hält das Gerät in die Luft, zeigt auf die Glasscheibe und verkündet: »Niedrige atmosphärische Aufladung hier. Nur gewöhnliche Hintergrundstörungen.«
Serge wirft einen Blick auf die Nadel, die zwischen null und fünf Mikroampere schwankt. Sein Vater marschiert tiefer hinein in den Labyrinthgarten, er trägt das Amperemeter vor sich her und erklärt:
»Wird stärker. Fünf bis zehn.«
Er hat recht: Die Nadel zittert. Weiter geht es durch die Mauer des Labyrinthgartens, über den Kiesweg und hinüber zum Maulbeerrasen, wobei Serges Vater das Gerät unverwandt vor seinem stattlichen Bauch herträgt. Als er an Bodner vorbeigeht, der sie nicht beachtet und tief hängende Äste bestreicht, dröhnt er triumphierend: »Zwanzig bis fünfundzwanzig!«
Serge blickt über seinen Unterarm und sieht, dass die Nadel tatsächlich zum rechten Rand der Skala wandert.
»Das… ich meine, wie machst du …?«, stottert er.
Sein Vater strahlt ihn zufrieden an.
»Ziemlich überzeugend, findest du nicht, mein Junge?«
»Aber … warum hier?«, fragt Serge. »Mein alter Mast stand doch im Mosaikgarten.«
»Ach, du sieht das zu eng«, schilt ihn der Vater. »So was bewegt sich, akkumuliert sich auf eine Weise, die wir nicht vorhersehen können. Außerdem«, fährt er fort und geht zwei Schritte weiter, den Blick immer noch auf die Nadel gerichtet, »behaupte ich ja auch gar nicht, dass wir hier bloß Funkwellen messen.«
»Was könnte es denn sonst sein?«, will Serge wissen.
»Denk an das, was ich dir über den Körper und dessen elektrische Strahlung erzählt habe«, antwortet sein Vater. »Falls die vom Hirn ausgesandten Strahlen den um die Erde wandernden Funkwellen auch nur ein bisschen ähnlich sind, hinterlassen sie noch lange Zeit nach ihrem Aussenden eine Spur.«
»Aber das ergibt keinen Sinn«, sagt
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