Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
K

K

Titel: K Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T McCarthy
Vom Netzwerk:
sein, nachdem er dem Land so tapfer gedient hat, einzuräumen, dass das Wetter nicht ganz dem entspreche, was man zu dieser Jahreszeit eigentlich erwarten dürfte, und so weiter – um dann, gerade wenn der Ladenbesitzer vor den Reihen mit Lancashires und Stiltons die Haltung ändert und ihn fragt, was er denn nun haben möchte, das Gespräch abrupt abzubrechen, sich umzudrehen und die Tür aufzustoßen, sodass nur noch ihr Klingeling in der Luft hinter ihm widerhallt. Einmal hat er dies in drei nebeneinanderliegenden Geschäften getan – Zeitungsladen, Bäcker und Fischhändler –, nicht aus Böswilligkeit, sondern einfach, um die Grenzen jeder Situation auszutesten und zu durchbrechen, eine nach der anderen, erst zuzulassen, dass sie ihn wie in eine Kiste einzwängen, um dann aus ihr herauszutreten…

    Derselbe ruhelose Impuls lässt ihn zwischen Versoie und London hin und her jagen. Er schreibt sich an der Architectural Association ein, setzt es sich dann aber in den Kopf, dass er lieber Maschinenbau studieren möchte; doch als er zum Imperial College geht, um sich zu immatrikulieren, ändert er wieder seine Meinung, beschließt, in die Fußstapfen seiner Schwester zu treten und sich beim Fachbereich Naturwissenschaften anzumelden; nach einer Woche merkt er dann, dass er sich dafür nicht eignet, und verliert die Lust, überhaupt am Imperial zu sein, weshalb er sich wieder bei der AA einschreibt. Schließlich begreift er, dass seine Ruhelosigkeit in Wahrheit nur der Versuch ist, ihr Gegenteil zu erreichen: Stasis. Es ist, als würde sich die Welt wieder zurechtrücken, wenn er sich nur schnell genug bewegte. Am deutlichsten spürt er das, sooft er über die Hochebene von Salisbury fährt. Wenn er mit dem rechten Fuß den Motor aufheulen lässt, gefletschte Zähne greifen, Zylinder sausen und er unter sich die Kraft wer weiß wie vieler vorwärtsstürmender Pferde fühlt, dann verlaufen die Straßenhecken ineinander zu einem Tunnel grüner Beschleunigung. Und solange er durch diesen Tunnel hindurchrast und der Horizont ihm entgegenkommt, ist ihm, als stünde er selbst still – in diesen Momenten überkommt ihn das gleiche, befriedigende Gefühl, das er auch in der Gondel des Rumpeti oder auf dem Sitz der RE8 empfand: das Gefühl, ein fixer Punkt in einer Welt der Bewegung zu sein. Mit dem Lenkrad hält er diesen Punkt gegen die Landschaft, und in die Luft, die an seinen Wangen vorbeizischt, stößt er das Wort »fassen«, das in all dem Lärm manchmal auch zum englischen »fast« wird, zu »faster«, noch schneller. Es riecht nach Kalziumoxid, nach Löschkalk: Erst kürzlich wurde die Hochebene als riesige Begräbnisstätte für die Opfer der Grippeepidemie genutzt. Kalkstaub dringt ihm in die Nase, setzt sich in seinen Lungen ab und sorgt dafür, dass er sich gut fühlt, lebendig.

    Nicht nur die Menschen in Masedown sind krank; auch die Maulbeerbäume in Versoie haben sich angesteckt – mit etwas, das sich Zweigsterben nennt und in Form eines pelzigen, weißen Schimmels auftritt, fast wie der Schimmel, der sich auf altbackenem Brot bildet. Er überwuchert die Blätter und Äste und breitet sich mithilfe flaumiger Sporen von Baum zu Baum aus – als hätte die Vegetation, ganz wie es Clairs Helden empfahlen, die Kontrolle über die Produktionsmittel an sich gerissen, die Parasiten sowohl in Insekten- wie Menschengestalt ausgeschaltet und begonnen, für sich selbst zu weben. Die Folgen dieses Aufstandes sind nicht zu übersehen: Das Seidenwerk hat einen Großteil der Arbeiter entlassen; die Spinnereihäuser stehen leer. Nur Bodner ist zu sehen, wie er, eine kleine, einsame Gestalt, Tag für Tag über den Maulbeerrasen zieht, in der Hand einen Eimer, in den er einen Pinsel tunkt, um die Bäume mit einem Desinfektionsmittel zu streichen.
    Hinsichtlich der Ursache dieser Krankheit hat Serges Vater eine Theorie: die elektrische Plage.
    »In Zeiten großer Anspannung oder Erregung«, erklärt er Serge eines Nachmittags in Sophies ehemaligem Labor bei einem Glas Portwein, »sendet der Körper eine größere elektrische Strahlung aus. Die Polizei in Amerika und Frankreich« – ein Finger zeigt vage nach links, um in Richtung des ersteren Landes zu deuten, für letzteres zuckt der Daumen zurück – »macht sich dieses Phänomen bereits zunutze und misst die elektrische Ladung der Haut, um festzustellen, ob ein Verdächtiger lügt.«
    »Und wie stecken sich unsere Bäume dann mit dieser Plage an?«, fragt

Weitere Kostenlose Bücher