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Titel: K Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T McCarthy
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erhalten, als er angeblich gewünscht hat; bei einem Antiquitätenhändler draußen in Kensington funktioniert der Kode andersherum, denn hier steht eines von zwei orientalischen Kunstwerken im Fenster (manchmal auch beide), kalligraphische Aquarelle, die (ursprünglich wohl eher zufällig, wie Serge vermutet) Ähnlichkeit mit den Buchstaben K und H aufweisen und somit signalisieren, welche Ware zu haben ist.
Er fängt an, in ganz London versteckte Hinweise auf Kodes zu entdecken – in den Straßenschildern, in den auf Mauern gekritzelten Kreidezeichen, den Schlagzeilen am Zeitungskiosk, den Worten auf Reklametafeln, in Gesprächsfetzen, die er im Vorübergehen aufschnappt, in Blumenarrangements auf Fensterbrettern oder der Anordnung von Kleidern an der Wäscheleine. Er bemerkt auch, dass viele seiner Mitbürger demselben Laster verfallen sind, und stößt immer wieder auf die verräterischen Signale: das Schniefen, die ein wenig gelb verfärbte Haut, das Zucken der Hände, der Gliedmaßen, die matten, zugleich aber ruhelosen Augen. Manchmal tauscht er den Blick mit jemandem im Bus, in einer Warteschlange, einem, der ihn in einem Türeingang streift; es sind Blicke gegenseitigen Erkennens, wie sie sich Mitglieder einer geheimen Sekte zuwerfen könnten: Ach, auch einer von uns …
    Der Maître des 52, Billie Lee, hat unübersehbar diesen Blick. Er ist Halbchinese, und seine säuselnde, samtige Stimme zieht seine Gäste so unausweichlich in ihren Bann, wie dies Madame Z mit ihrem klammen Griff gelingt. Zudem lispelt er, was Serge stets an das Wort »Liszt« aus dem Einlassdialog erinnert. Und seinen Gang findet er katzenhaft, obwohl er weiß, dass er dies vermutlich nur wegen der vielen Katzenmasken denkt, die ihn von der Bühne herab angrinsen. Je öfter er Drogen nimmt, desto assoziativer scheint sein Verstand zu arbeiten: Die kreiselnden Tänzer auf den langen Bodendielen, ineinander verhakte Leiber auf Kollisionskurs mit anderen sich umklammernden Körpern, die innehalten, um vorbeizulassen, und sich dann wieder in Bewegung setzen, erinnern ihn daran, wie in London Taxis und Busse durch die Straßen fließen, pulsieren, sich Raum verschaffen, an Flugzeuge, die aneinander vorbeifliegen, sich umkreisen, an Mücken über dem Bett, an Planeten in ihren Umlaufbahnen. Die kecken, selbstbewussten Frauen an den Tischen bilden stilisierte geometrische
Figuren in Schwarz, Weiß und Scharlachrot; die straffen Winkel ihrer nackten Rücken, bestrumpften Beine, ihrer Unterarme, die sie ausstrecken, um dreieckige Cocktailgläser oder lange, gerade Zigarettenhalter zu balancieren, beschwören das Bild neuer, glänzender Motoren herauf, die geschmeidige Maschinerie luxuriöser, teurer Automobile, deren messingfarbene Kolben, Pleuelstangen und Zylinder. Im Vergleich dazu kommen ihm die Männer – im 52 wie auch in Madame Zs Salon – reduzierter vor, zurückgenommen, duckmäuserisch, weibisch.
    »Mein lieber Szerge«, säuselt Lee eines Abends, »Szie szind heute Abend ohne die liebenszwerte Audrey gekommen?«
    »Sie trifft ihren Beschützer«, erwidert Serge.
    »Aha, den Doktor!« Ein sanftes Glucksen entweicht Lees Mund. »Ein wunderbarer Mann. Ihr sehr ergeben.«
    Serge zuckt die Achseln. Er weiß immer noch nicht genau, was für eine Beziehung Audrey eigentlich zu diesem Dr. Arbus hat. Lee schnappt nach Luft, als ihm plötzlich etwas einfällt.
    »Szerge!«, sagt er. »Nächste Woche organisiere ich eine Party im Limehousze, und Szie müssen Ihre ganze Folies-Bergèrsz mitbringen. Das wird eine gansz geheime Party, exklusziv, aber riesig. Das wird bombasztisch …!«
    »Abgemacht«, erwidert Serge.
    Kurz darauf kommt Audrey, die Taschen voller Geld. Sie bestellt Champagner und bedeckt Serges Hals und Wangen mit reumütigen Küssen. Wortlos wendet er sich von ihr ab und schaut den Spielern der Jazzband zu. Auch sie sehen wie Maschinenteile aus, wie Verlängerungen ihrer Instrumente, der Klappen, Ventile und Röhren. Ihre Leiber zittern und beben in elektrischer Verzückung, ganz wie die Körper der Tänzer. Eine junge Frau, die mit einer anderen herumwirbelt, stößt einen Juchzer aus, einen Freudenschrei, dem es gelingt, unterschwellig einen Ton von Angst zu transportieren, ein
Notsignal. Die Musik selbst schickt ebenfalls Signale aus, und Serges Augen werden glasig, als er sich auf sie einstimmt. Es sind mehrere Signale, die sich da in den Klängen sammeln, nur um gleich darauf wieder ihre Kontur zu verlieren und ihm zu

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