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Titel: K Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T McCarthy
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Audrey hinter den Kulissen und entdeckt sie mitten in einem Durcheinander aus Pferdeköpfen, Silhouetten eroberter Städte, Restaurantrequisiten und zweidimensionalen Automobilen.
    »Ich habe mal in einem Stück mitgespielt, in dem ein Automobil vorkam«, erzählt Serge, als sie ihm einen flüchtigen Kuss auf die Wange drückt.
    »Du warst Schauspieler?«
    »Nur als Kind.«
    »Du warst bestimmt goldig«, sagt sie. »Warte auf mich. Ich nehme dich mit ins Boulogne: Da geht heute Abend die ganze Clique hin.«
    Die Clique hat im oberen Stock des Boulogne einen Speiseraum für sich allein. Serge kann sie hören, sobald er mit Audrey das Restaurant betritt: Sie singen den »Brust«-Song, laut und a cappella. Als Audrey ihn den übrigen Chormädchen vorstellt (Penthesilea, Hippolyte, Antiope und ihresgleichen scheinen woanders zu Abend zu essen), stoßen sie ihr Kriegsgeschrei und schrille Pfiffe aus, dann rücken sie zusammen, um Platz zu machen. Kellner bringen Platten mit Huhn, Lamm und Fisch, doch probiert man nur, reicht das Essen herum und spielt bloß damit, während der Wein Karaffe um Karaffe in die Kehlen strömt. Bald schon sieht der Tisch wie ein Schlachtfeld der Amazonier aus – nach der Schlacht. Audreys Freundinnen legen die Arme auf die Schultern ihrer Tischnachbarn, liebkosen einander, lachen, Zigarettenschachteln und Handtaschen werden herumgereicht; die Gänge zur Toilette häufen sich.
    »Kommt ihr jeden Abend nach dem Theater hierher?«, fragt Serge.

    »Im Boulogne fangen wir an, dann ziehen wir weiter ins 52«, erwidert Audrey. »Hier, geh dein Näschen pudern.«
    Sie reicht ihm das Puderdöschen, und er geht nun auch zur Toilette. Als er zurückkommt, ist man allgemein im Aufbruch.
    »Wer will ein Taxi?«
    »Das ist Amazonomachi«, trällern draußen einige Mädchen. Schließlich treiben sie ein Taxi auf und fahren die kurze Strecke zur Gerrard Street. Vor der Tür zu Nummer 52 wartet eine kleine Menschentraube, doch schreiten sie amazonenhaft durch die Menge. Die ganze Truppe wird gleich zur schmalen Treppe durchgewinkt und an einen der Tanzhallentische gebracht, wo sie ihr Lager aufschlagen. Am Ende des Saals steht eine Bühne, die kaum höher als das Podium im Klassenzimmer Eins in Versoie ist. Eine Jazzband spielt; vier Männer – ein Inder, ein Westindier, zwei Weiße – zucken frenetisch im Takt und umklammern Trompete, Saxophon oder Schlagzeugstöcke, als wären ihre Instrumente mit einem unter den Dielen lauernden Stromfluss gekoppelt. An der Wand hinter ihnen blinzelt ein Mond dem Publikum zu; um ihn herum sind Planeten angeordnet: Saturn mit seinen Ringen, der rote Mars und noch einer, der wer weiß was für einen Himmelskörper des Sonnensystems oder jenseits davon darstellen soll; dazwischen hängen, wie primitive Masken, grinsende Katzengesichter. Beidseits der Kulisse sind mit grünem Laub behangene Spaliere angebracht, die sich auch die Seitenwände des Klubs entlangziehen. Auf jedem Tisch stehen Blumen in schlanken Glasvasen.
    Champagner wird bestellt und getrunken. Einige Mädchen tanzen, tanzen miteinander: Männer sind auch da, aber nur wenige; mindestens die Hälfte aller Paare auf der Tanzfläche sind Frauen. Sie zucken wie die Musiker, ihre Oberkörper zittern wie die der Piloten nach einem Flug. Über ihnen schweben
Ballone, prallen von ihren Köpfen ab, ihren Schultern. Kokain wird ganz ungeniert direkt am Tisch geschnieft. Nachdem sie ihm eine Portion auf ihrem Handrücken angeboten hat, beugt sich Audrey zu Serge hinüber und sagt: »Gehen wir zu mir.«
    Sie verschwinden und spazieren zum Piccadilly Circus. Während Audrey nach einem Taxi Ausschau hält, starrt Serge zu einer riesigen, elektrischen Reklametafel hoch: Hunderte und Aberhunderte von Glühbirnen – strahlend hell, langlebig, robust – pulsieren wie lebendig und flimmern die Namen Evening News, Venus-Stifte, Monaco und Glaxo an den Himmel. Unter dem G von Glaxo ist ein Kringel, ein riesiger Schnörkel, der sich von links nach rechts aufbaut, als würde er, wie eine Unterschrift, mit einem Federstrich hingesetzt, jede Glühbirne ein Tropfen Tinte, der verschwindet und sich wieder neu bildet. Alle Namen verblassen ins Dunkel und tauchen wieder auf, schreiben wie besessen gegen das Vergessen an. Nur der Reifen unter dem Wort »Firelli« bleibt permanent hell, die äußere Reifendecke, die Radien der Speichen und die Radnabe, durch die das hohe, abstrahierte Spektakel in einer Art irdischer Geometrie verankert

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