Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
K

K

Titel: K Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T McCarthy
Vom Netzwerk:
sonst gibt’s nichts. Aber wenn sie brav ist, gibt’s Bonbons.«
    Miss Dobai klatscht schnell in die Hände. Die Sekretärin schreibt rasch etwas auf. Der Sitzungsleiter zeigt dem Publikum seine offenen Arme, lädt es zum Mitmachen ein. Jemand von vorn ruft: »Ist wer bei dir, Tilly?«
    Mit immer noch leerem Blick dreht Miss Dobai den Kopf erst zu einer, dann zur anderen Seite. Sie hat die Rechtsdrehung fast zu zwei Dritteln beendet, als sie innehält und mit Tillys Stimme japst: »Oh, der Tempus-Junge.«
    »Habe ich Tempus verstanden, Tilly?«, fragt die Sekretärin.
    »Tempus, Tempera, Tempera-tur«, sagt Tilly. »Quecksilber steigt. Er sagt Tilly, es ist ein P.«
    Links im Saal erhebt sich eine Frau, ebenso ein Paar auf der rechten Seite.
    »Peter?«, fragt die Frau.
    »Tilly hört ihn sagen, es ist ein P, dann ein A.«
    Die Frau setzt sich wieder, das Paar allerdings nicht: Es hält sich fester und immer fester an den Händen, während Tilly fortfährt: »P, dann A, dann noch ein Buchstabe, dann ein L…«
    »Paul!«, ruft die Frau mit brechender Stimme. Ihr Mann aber fragt in festerem Ton: »Paul, bist du das?«

    Miss Dobai dreht den Kopf wieder ein wenig, als versuche sie, den Mann auszumachen, der die Frage stellte, oder das Mädchen, das sie beantwortet, oder beide.
    Erneut ist Tillys Stimme zu hören. »Starb an Grab, an Grab, an Grippe. Paul sagt, es ist sehr heiß. Und feucht. Aber jetzt ist er wieder froh. Hallo Daddy, hallo Mummy. Ihr wart immer gut zu mir.«
    Die Stimme ändert sich mit den letzten Sätzen: Es ist immer noch die eines Kindes, doch klingt sie ernster als die von Tilly.
    »Wenn du Paul bist«, sagt der Mann, »dann verrat mir: Erinnerst du dich an das große Ding, das im Spielzimmer stand? Das mit dem Schwanz?«
    »Oh, Spielzeug«, antwortet Pauls Stimme. »Ja, klar. Ein Schaukelpferd.«
    »Na ja, das stand im Kindergarten«, erwidert der Mann, »aber ich meine bei uns zu Hause. Das mit dem Schwanz, das an der Wand hing …«
    »Ein Vogel«, antwortet Paul. Dann eine Pause, danach: »Kein richtiger Vogel, nein, einer aus Stoff, mit einem Schwanz… und einer Schnur… einer langen Schnur, um ihn fliegen zu lassen.«
    Die Frau ist schluchzend zurück auf den Stuhl gesunken.
    »Ein Drache«, ruft Paul triumphierend. »An der Wand. Ihr habt ihn mir zum Geburtstag geschenkt.«
    Jetzt beginnt auch der Mann zu weinen. Audrey sieht Serge an, als wollte sie fragen: Habe ich zu viel versprochen? Serge erwidert ihren Blick und spürt, wie es ihm heiß und kalt über den Rücken läuft. Pauls Stimme, immer noch aus Miss Dobais Mund, sagt: »Ihr lasst ein Bild malen. Von mir.«
    »Stimmt«, sagt der Mann mit tränenerstickter Stimme. »Kannst du es sehen?«
    »Oh ja, es gefällt mir. Ich kann es sehen; und ich fange an, aus ihm herauszusehen. Es bringt Mathilda zum Lächeln,
genau wie das Photo. Und ich mag die Soldaten in Reih und Glied, die sind sich so ähnlich, fast wie ein Ei dem anderen!«
    Die Stimme kippt wieder ins Kichern ab. Die hastig mitschreibende Sekretärin fragt:
    »Ist das wieder Tilly? Siehst du ein Gemälde? Oder eine Photographie?«
    Erneut dreht Miss Dobai langsam den Kopf und richtet sich nach ihren Gesprächspartnern aus. Das groteske Lächeln kehrt auf ihr Gesicht zurück, als Tilly sagt: »Zwei Reihen Soldaten. Wie in der Schule, als der Mann mit dem Vögelchen und dem Samttuch kam. Die vorderen sitzen, die hinteren stehen.«
    Im Saal erheben sich mehrere Leute gleichzeitig.
    »Von welchem Regiment?«, ruft jemand.
    »Giment?«, wiederholt Tillys Stimme. »Ich kann ein E lesen. Und ein I und ein L…«
    »Die Leicester Rifles?«, fragt jemand anderes.
    »Rifles? Nein, ihre Gewehre haben sie abgelegt.« Tilly kichert. »Einer hat allerdings einen Stock, einer in der hinteren Reihe, der Erste, Zweite, Dritte von links. Nur ist er nicht der, der mit ihr spielt. Das ist ein anderer, einer in der vorderen Reihe, der Raifle-Junge.«
    »Wie nennst du ihn?«, fragt die Sekretärin.
    »Er hat gesagt, ihm hätte was gefehlt, und eine Weile meinte er zu ersticken, dann wurde es besser. Er hatte Angst, so wie im Dunkeln; dann schaffte er es hinüber, und es ging ihm wieder besser.«
    Beinahe gleichzeitig riefen zwei Männer: »Wie heißt er? Wie wird er genannt?«
    Miss Dobai hebt die Hand vom Tisch und malt ein M in die Luft. Serge merkt, wie Audrey angespannt aufmerkt. Dann malt Miss Dobais Hand ein O, und Audrey sackt enttäuscht in sich zusammen. Der nächste Buchstabe ist ein R,

Weitere Kostenlose Bücher