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Titel: K Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T McCarthy
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greift.
    »Es geht darum, einen Kreis zu bilden«, flüstert Audrey Serge zu.
    Miss Dobai macht ein Zeichen, woraufhin der Leiter verkündet: »Miss Dobai lässt mich wissen, dass sie es schätzen würde, wenn Sie mit ihr die zweite Hymne anstimmten, deren Text Ihnen ebenfalls überreicht wurde: Now Thank We All Our God.«

    Leichter gesagt als getan: Die Versammlung hält sich an den Händen. Also wird der Kreis kurz unterbrochen, der Liedtext auf den Knien oder auf dem nächstbesten Stuhl zurechtgerückt, dann wieder nach den Händen gegriffen und eine neue Hymne angestimmt. Nach der ersten halben Strophe geht auch der Leiter an seinen Platz. Miss Dobai sitzt derweil reglos an ihrem Tisch, den Blick unbestimmt nach vorn gerichtet. Sie rührt sich auch während der zweiten Strophe nicht, doch während der dritten scheint eine seltsame Verwandlung mit ihr vorzugehen. Zuerst ist es nur ein leichter Schluckauf, der immer schlimmer wird und ihre Brust, ihre Schultern beben lässt, bis er in ein Schluchzen übergeht, das ihren ganzen Oberkörper schüttelt. Sie rollt mit den Augen, diesen rotadrigen, fischweißen Bällen. Wie von den Verrenkungen des Mediums gebannt, hört einer nach dem anderen mit dem Singen auf. In der Stille ist Miss Dobais rascher, hechelnder Atem deutlich zu hören: ein raues Keuchen, das immer tiefer klingt. Und je tiefer es wird, desto langsamer kommt es aus ihr heraus, bis es sich fast wie das gedehnte, gähnende Stöhnen eines erwachenden, männlichen Schläfers anhört.
    »Ist dort jemand?«, fragt die mausgraue Sekretärin.
    Statt einer Antwort seufzt die Stimme verärgert. Dann öffnet sich Miss Dobais Mund, und der männliche Sprecher, den sie jetzt verkörpert, spricht aus ihr nur ein Wort: »Morris.«
    »Sind Sie Morris?«, fragt die Sekretärin. »Können Sie das für uns bestätigen?«
    »Ja«, knurrt die Stimme und beginnt erneut zu keuchen, dass es Miss Dobais ganze Gestalt schüttelt. »Die Verträge stimmen nicht.«
    Die Sekretärin kritzelt in ihr Notizheft. »Welche Verträge, Morris?«, fragt sie. »Da waren Sie letztes Mal nicht ganz deutlich.«

    »Grundstücksverträge. Cam, Camber, Camley. Ich wollte sie überschreiben lassen, ehe ich …«
    »Ich habe Cam-irgendwas gehört«, sagt die Sekretärin nach einer Pause. »Ist das ein Ort?«
    »Wurde drum betrogen … eidesstattliche Erklärung …« Morris ignoriert ihre Frage. Die Worte gehen wieder in Keuchen über, ein abgehackter, im Ton ansteigender Laut, der schließlich fast wie amazonisches Kriegsgeheul klingt. Erst als das Geheul seinen Höhepunkt erreicht, wandelt es sich erneut in Worte, die Miss Dobais Wangen zusammenziehen, ehe sie über ihre Lippen stürzen: »Weh, jippie, jippie, jeh! Komantschenhäuptling hier! Jippie-jeh! Töte Landräuber ein für alle Mal. Hol mir seinen Skalp. Weh, jippie, jippie, jeh!«
    »Wer ist jetzt hier?«, ruft die Sekretärin.
    »Komantschenhäuptling, jippie-jeh!«, informiert sie die neue, aufgeregte Stimme. »Ratzekahl hab ich skalpiert den weißen Mann. Früher. Jetzt keine Feinde mehr, wo wir sind. Weiße, Rote, alle Freunde, Jippie-jeh!«
    »Wo sind Sie, Häuptling?«, fragt die Sekretärin.
    »Auf den weiten Prärien«, antwortet er. »Nicht in Amerika, irgendwo anders. Vorfahren von allen Menschen hier: Weiße, Rote, Gelbe …«
    Miss Dobais Wangen ziehen sich noch fester zusammen, während ein Ton wie tosender Wind über ihre Lippen fährt. Der Klang ändert sich, der Wind wird zum Säuseln, dann raschelt und knistert es nur noch hin und wieder. Auch dieses Geräusch wird lauter, bis aus ihrem Mund nicht mehr die Stimme eines Mannes, sondern die einer Frau dringt. Immer höher ziehen sich ihre Mundwinkel, und der Ton steigt an, bis kindliches Kichern in den Raum platzt.
    »Sind Sie das, Miss Sunshine?«, ruft die Sekretärin. »Tilda?«
    Ein breites, groteskes Lächeln verzerrt Miss Dobais Gesicht, als sie mit Kleinkindstimme antwortet: »Bin kein Indianermädchen.
Nein, bin ich nicht. Ich hab langes blondes Lockenhaar und große blaue Augen, und Billy Parton sagt, ich hätte eine Stupsnase.«
    »Kannst du uns sagen, wie du heißt?«, fragt die Sekretärin.
    »Heiß … kalt …« Die Kleine kichert, als sie ihr antwortet: »Miss Scarlet nennt mich Sunshine. Wegen meiner Haare. Meine Brüder nennen mich Tilly, genau wie wir den Pflug nennen.«
    »Sie kommt oft«, flüstert Audrey zu Serge.
    »Mutter sagt«, fährt die Stimme fort, »sie soll ihre Haube tragen und Antwort geben,

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