K
nach einer Brust, wie um zu verhindern, dass sie aus dem Kleid fällt. Als aber der Busen vorquillt, gleitet die Hand von ihm ab, und ihre Besitzerin stößt einen schrillen Schrei aus, der eine Ewigkeit braucht, um Serge zu erreichen und ihm noch so lange in den Ohren widerhallt, dass er schließlich alle Musik übertönt: eine langsame, in die Länge gezogene Version eines Schreis, den er schon einmal gehört hat.
Viel später findet sich Serge über der Themse auf einer Feuertreppe wieder. Audrey ist nirgendwo zu sehen, doch ist jemand bei ihm, irgendein Partygast, der Serge seine Theorie darlegt, laut der Jazz und Morphium einander ergänzen: Es hat irgendwas mit Frequenz und Synchronisation zu tun, damit, dass Hirnwellen mit den Schwingungen der Musik in Einklang gebracht werden müssen, mit der Musik Afrikas und Amerikas, der alten, der neuen und irgendwas, irgendwas …
»Worte am Kreuz … «, will Serge murmeln, muss aber feststellen, dass ihm kein Laut über die Lippen kommt. Außerdem ist sein Gesprächspartner offenbar verschwunden, falls es ihn denn überhaupt je gegeben hat. Ein dumpfer, metallischer Druck gegen die Knie macht Serge klar, dass er nicht mehr steht, sondern jetzt auf der Feuertreppe liegt. Er blickt zum Fluss hinab. Es ist Ebbe, der freigelegte Schlamm schwarz und tief. »Womöglich wird es so sein, wenn es kommt«, hört er sich zu niemandem sagen, ohne auch nur zu wissen, was er damit meint.
III
Mitte November erneuert Audrey ihr Angebot, Serge zu einer spiritistischen Sitzung in die Hoxton Hall mitzunehmen. Serge willigt ein. Sie verlassen seine Wohnung und nehmen den Bus über Clerkenwell Road und Old Street.
»Was ist das?«, fragt sie, als sie an ihn gepresst wird und in seiner Jacke etwas Unförmiges spürt: Es ist Rushhour und der Bus rappelvoll.
»Ein Nivellierer«, sagt er. »Ein Messinstrument. Eigentlich wollte ich es zu Hause lassen.«
Er ändert die Stellung, damit es sie nicht mehr stört, dabei drückt das Gerät aber gegen seine Rippen, als wollte es ihn für seine Lüge strafen: Es ist kein Nivellierer, sondern das
Amperemeter seines Vaters, mit dem er heimlich die »aufgeladene« Atmosphäre messen will…
»Letzte Woche sind Verwandte von zwei Besuchern gekommen«, erzählt ihm Audrey, als sie zusammen über die Hoxton Street gehen.
»Nein, wie Teufelchen aus dem Kasten gehüpft und durch den Saal geschlendert?«, fragt Serge.
»Quatsch, natürlich nicht«, schilt sie. »Sie werden durch das Medium kanalisiert und melden sich nur per Stimme. Und durch die Kontrollpersönlichkeit. Wirst schon sehen.«
Im Licht von zwei aus der weißen Fassade des Gebäudes vorspringenden Wandleuchten haben sich einige Leute versammelt. Nachdem Serge und Audrey an einem Tisch im Vestibül ihren Obolus von einem halben Shilling entrichtet haben, händigt man ihnen ein paar Broschüren aus. Sie gehen weiter in den Hauptraum, einen gemütlichen kleinen Saal mit recht schäbigen, verstreut herumstehenden Stühlen, die alle auf eine kleine, von roten Plüschvorhängen gerahmte Bühne ausgerichtet sind. Mitten auf der Bühne steht ein Tisch. Es ist ein runder Tisch, dessen Platte auf einem einzigen, stammstarken Fuß ruht, ein Esstisch der Art, wie man ihn oft in gutbürgerlichen Heimen sieht. Hinter dem Tisch steht ein einsamer, dem Publikum zugewandter Stuhl. Mehrere Meter links von Stuhl und Tisch, was Audrey vermutlich die »rechte Bühnenseite« nennen würde, steht ein zweiter, gleichermaßen ausgerichteter Stuhl. Auf einem Ständer zwischen den beiden Stühlen ist eine Tafel angebracht. Rechts vom Tisch (linke Bühnenseite) befindet sich ein zweiter, kleinerer Tisch mit einem Stuhl davor, der dem großen, runden Tisch die Lehne zukehrt. Einzig dieser Stuhl ist besetzt, und zwar mit einer mageren, mausgrauen Frau, die einen gespitzten Stift über einen auf der Tischplatte liegenden Notizblock hält.
»Ist sie das Medium?«, fragt Serge.
»Nein«, antwortet Audrey. »Sie ist Sekretärin oder so. Während der Sitzung macht sie Notizen für irgendeine wissenschaftliche Gesellschaft, die auf diesem Gebiet Forschungen anstellt.«
Sie gehen zu zwei Stühlen hinten im Saal, hängen die Mäntel über die Lehne und setzen sich. Nach und nach kommen weitere Gäste. Manche sind zweifellos ingénues wie Serge selbst: Nach dem Eintreten bleiben sie stehen, schauen sich um und überlegen, was sie tun sollen, ehe sie sich zögerlich zu einem der leeren Stühle begeben. Andere sind
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