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Titel: K Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T McCarthy
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Zwischenstation verbunden und diese wiederum mit einer Zentrale, die selbst nichts als einen der vielen Zuflüsse jenes großen Stroms darstellt, der direkt ins Herz von London fließt. Betritt man eine Zelle in Labban oder Karmouz, ist man in heiliger Dreifaltigkeit mit jeder Gasse in Surrey, mit jedem Giebelhaus in Gloucestershire verbunden.« Wie eine Hostie schob er sich den Kräcker in den Mund und fuhr dann fort: »Sie sind uns attachiert worden – jedenfalls so lange, bis Kairo Sie benötigt – und sollen das ganze Ausmaß dieser telekommunikativen Blasphemie feststellen. Also sind Sie uns attachiert, um detachiert zu berichten, sind gewissermaßen unser détaché -Attaché.« Zufrieden mit seiner Wortwahl, strich er sich lächelnd einige Krumen vom Hemd.
    »Warum lassen Sie das nicht die Ingenieure machen?«, fragte Serge.
    »Ingenieure sind Ingenieure«, erwiderte Ferguson. »Sie kennen sich mit Kabeln und Isolatoren aus, mit sonst nichts. Von Ihnen aber wünschen wir uns einen anderen Blickwinkel, die größere Perspektive.«
    »Perspektive war noch nie meine…«, begann Serge, doch unterbrach ihn Ferguson.
    »Wir stellen Ihnen für die Stadt jemanden an die Seite. Ishak Effendi Benoiel?«, rief er seinen Sekretär.

    »Ja, Effendi?«, fragte der Mann, der mit einem Notizblock in der Hand in der Tür erschien.
    »Würden Sie wohl so freundlich sein, mir Petrou zu holen?«
    Wenige Minuten später schlurfte Petrou ins Büro. Er wirkte schüchtern und hielt etwas seitlichen Abstand zu Ferguson und Serge.
    »Petrou – Karrefax; Karrefax – Petrou«, stellte Ferguson sie vor und nahm sich noch einen Kräcker. »Namenskoordinator und gleichfalls détaché . Sie geben bestimmt ein gutes Team ab.«
    Und so kommt es, dass Serge und Petrou – nach ermüdenden Vormittagssitzungen zu den Themen Landkauf, Anbau von Faserhanf, Import von Baumwollballenpressen und Münzprägemaschinen oder Drainageproblemen, Sitzungen, die von den Bürokraten zweier im selben Gebäude untergebrachter Ministerien sowie eines dritten, das in einem attischen Viertel ganz in der Nähe Quartier gefunden hat, in Englisch, Arabisch und in Pidginfranzösisch abgehalten werden – zu ihrer täglichen Tour durch Alexandria aufbrechen. Die langen Promenaden der Stadt schleusen sie von Geschäft zu Geschäft; Markisen, Balkone und Palmen spenden Schatten und markieren ihren Fortschritt in fast rhythmischem Takt, einem nahezu stetigem Gleichmaß. Automobile und Pferdefuhrwerke gleiten auf sich kreuzenden Wegen vorbei, als würden Epochen sich überschneiden. Einheimische in europäischer Kleidung, allerdings mit rotem Blumentopffez, hasten vorüber mit Aktenmappen voll juristischer Schriftsätze, mit Zeitungen oder Versicherungspolicen; Männer in knöchellangen Gewändern rollen mit Stöcken Fässer über die Straße; Scharen von Schulkindern in bunten Traumgewändern ziehen wie Papierketten Hand in Hand über die Bürgersteige. Die Kleider erinnern Serge an Schlafanzüge, was der Stadt etwas Verschlafenes
gibt, so, als sei sie gerade erst aus tiefem Schlummer erwacht, zumindest halb erwacht. Händlerrufe schwirren ihnen entgegen, wenn sie wie jeden Tag zu den Französischen Gärten kommen; von der Baumwollbörse dringt Geschrei herüber; ihnen zu Ehren flattern Fahnen an den Masten, wenn sie in die Rue Chérif Pacha einbiegen. Straßenbahnen bringen sie an maronitischen, presbyterianischen und anglikanischen Kirchen vorbei, an römischen und ägyptischen Banken, an Moscheen mit aberhundert verschiedenen Minaretten, vorbei am Hauptpostamt zum Canopic Way, vorbei am Sonnentor durch das Türkische Viertel und über den Mahmoudied-Kanal von einem Ufer zum anderen und dann wieder zurück.
    »Wir nehmen die Ragheb-Pasha-Tram nach Anfoushi – das ist die Rote-Halbmond-Linie; dann die Moharram-Bey-Tram nach Karmouz – das ist die Rote-Kreis-Linie, danach die Ringbahn nach Shatby – das ist die Grüne-Dreieck-Linie«, sagt Petrou zu Serge an einem Montagnachmittag.
    »Kreis, Dreieck: Klingt alles sehr geometrisch«, erwidert Serge, während eine Doppeldeckertram hält und sie einsteigen.
    »Die hat auch hier angefangen«, sagt Petrou, als die Tram losfährt.
    »Was denn?«
    »Die Geometrie. Euklid lebte in Alexandria und arbeitete unter Ptolemäus Soter dem Ersten. Genauso wie Eratosthenes: Er hat aus den Schatten, die die Sonne zur Mittagszeit über die Straßen der Stadt fallen ließ, den Erddurchmesser errechnet. Und Sostratus, ihr Zeitgenosse,

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