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Titel: K Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T McCarthy
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Warum sie immer noch nicht stehen und in Betrieb genommen wurden, ist mir schleierhaft.«
    Serge starrte durch das Fenster auf die vorbeifliegende Landschaft und war nicht ganz bei der Sache – nicht weil ihn Erinnerungen an seinen Autounfall oder die Sucht nach pharmazeutischen Mitteln quälten (Letztere hatte sich seit seinem Wiedererwachen merkwürdigerweise vollkommen gelegt, einige verblassende, typische Narben am Arm blieben offenbar die einzigen Überbleibsel seiner früheren Drogenabhängigkeit), sondern weil er sich daran erinnerte, dass er
sich bei seiner Abreise, als der Wagen die Einfahrt hinauffuhr und der Kies unter den Rädern knirschte, noch einmal zu den zu seinem Abschied versammelten Menschen umgedreht hatte und er allein auf Bodners Gesicht eine Andeutung von Traurigkeit erkennen konnte.
    »Normans Komitee hat acht Stationen vorgeschlagen«, fuhr Widsun fort, dessen Stimme mit dem Motorengeräusch verschmolz, »jede in einem Abstand von dreieinhalbtausend Kilometern, sodass wir von hier in alle Winkel des Empires senden können. Die Durchführbarkeit wird offenbar vom Milner-Eccles-Bericht bestätigt. Nur die Dominions machen uns Ärger, und das Kabinett scheint jetzt ein neues Komitee einsetzen und neue Berichte anfordern zu wollen, während es zugleich darauf drängt, dass die seit sieben Jahren halb fertig herumstehende ägyptische Station nun endlich fertiggestellt wird. Du arbeitest für Macauley in Kairo: Er wird dich einen Unterbericht anfertigen lassen, den er zweifellos in seinen eigenen Bericht an das Telegraphenkomitee einarbeitet, das ans britische Kommunikationskomitee berichtet, das wiederum ans …«
    Er verstummte, und eine Weile saßen sie schweigend da. Dann änderte Widsun seine Haltung, legte einen Arm horizontal auf die lederne Rückbank in Serges Rücken und gestand in vertraulichem Ton: »Und wenn es dir nichts ausmacht, hätte ich gern einen Appendix.«
    »Einen Appendix?«, fragte Serge.
    »Einen Appendix«, wiederholte Widsun. »Ein Addendum, Apokryph, Postskriptum, Prolegomena – wie auch immer. Einen Abschnitt nur für mich. Denk dir, es sei eine Art verlorenes Kapitel.«
    »Und was soll darin stehen?«
    »Wenn ich das wüsste, würde ich es selbst schreiben«, gluckste Widsun. »Du bist vor Ort; ich überlass dir die Entscheidung,
worauf ich aufmerksam gemacht werden sollte.« Er schaute nun selbst aus dem Fenster, als suche er in der vorbeihuschenden Vegetation nach einem Muster, und fuhr dann fort: »Wir leben in ›interessanten Zeiten‹, wie es ein alter chinesischer Fluch formuliert. In Ägypten, da passieren… Sachen , und da wäre ich gern stets sozusagen eine Brustlänge voraus.«
    »Wie ein Amazonier«, murmelte Serge.
    »Was meinst du?«
    »Ach, nichts. Erzähl weiter.«
    »Schick den Appendix separat. Stell dir einfach vor, er wäre unsere direkte Verbindung unter Umgehung von Befehlsketten, Komitees und dergleichen.« Er lehnte sich zu Serge hinüber und flüsterte ihm halblaut zu: »Du sollst mein kleiner Spion sein.«
    Während Serge noch diesen recht kryptischen Auftrag verdaute, spürte er, wie ihm etwas sauer aufstieß – ein Geschmack, der wiederkehrte, sooft er an Widsuns Bitte dachte: bitter und tief aus seinem Innern, fast wie hochgewürgte Magensäure.
    Nachdem er in Alexandria von Bord gegangen war, hatte er sich im Büro des Ministeriums in der Rue de France gemeldet und damit gerechnet, dass ihm eine Fahrkarte für den Abendzug nach Kairo ausgehändigt werden würde, doch informierte man ihn, dass er noch eine Weile bleiben werde, um »Schäden zu begutachten«.
    »Schäden? Was für Schäden?«, fragte er.
    »An Seiner Majestät Kommunikationsnetz«, erklärte ihm Major Ferguson, Leiter der Abteilung Alexandria. »Nach der Deportation von Zaghlul beschlossen die Ägypter, ihre Wut nicht nur an unseren Geschäften und Wohnhäusern, sondern auch an den Telegraphenkabeln, Telephonleitungen et cetera auszulassen. Manchmal sogar an den Masten selbst;
die haben sie mit unglaublicher Rachsucht umgehackt wie ein Stamm Rothäute, der Frevel an den Totempfählen seiner Feinde begeht. In gewisser Weise sind sie das für sie ja auch.«
    »Wieso?«, fragte Serge.
    »Wie ich es sehe«, sagte Ferguson und nahm sich einen Salzkräcker aus einer Schale auf seinem Tisch, »ist eine Telephonzelle was Heiliges. Selbst wenn sie noch so ramponiert aussieht und in irgendeinem obskuren, schäbigen, hinterletzten Winkel steht, ist sie doch stets mit einer

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