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Titel: K Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T McCarthy
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zurück und wendet sich halb ab, überlässt ihm die Angelegenheit: Telekommunikation ist Serges Fall, nicht seiner. Serge starrt einige Sekunden auf die toten Kupferschlangen, als könnten sie ihm etwas sagen, dann folgt er Petrous Blick zum Strand. Es ist später Nachmittag; hinter dem Yachtklub, am Kasino vorbei, hat der feuchte Sand die Farbe von oxidiertem Quecksilber angenommen. Die Szene wirkt seltsam détaché und scheint kaum mehr Bezug zur Wirklichkeit zu haben als eine Photographie
– als wäre dies hier nur ein Bild von irgendwo anders. Damen in weißen Kleidern und Hüten promenieren über den Strand; Schlipse tragende Männer ziehen ihre Segelboote einige Meter weit ans Ufer, ehe sie zum Klubhaus schreiten; bleichgesichtige Kinder bauen Sandburgen. Sie alle wirken wie direkt aus Torquay, Cannes oder Saint-Tropez hierher versetzt – als wollte Europa sich gleich Alexanders Griechenland im schwindenden Licht selbst simulieren und versuchte mit zäher Beharrlichkeit die Einsicht zu verdrängen, dass es hier nicht Fuß fassen kann, dass es einfach nicht geht.
    »Wir sollten in die Stadt zurück«, sagt Petrou. »Wann fährt die nächste …?« Er gleitet mit dem Finger über den Fahrplan der Tram. »Ist das zu fassen?«, knurrt er aufgebracht. »Im französischen und im englischen Plan stehen unterschiedliche Zeiten!«
    Auf dem Rückweg kommen sie an den Königsgräbern vorbei.
    »Das ist die Soma«, erklärt Petrou. »Alexanders Leichnam soll hier liegen.«
    »Soll?«
    »Es ist wohl ziemlich sicher, dass er nie hergebracht wurde. Nur haben sich die Ptolemäer dies gern eingeredet und sich deshalb hier begraben lassen. Sogar der Prophet Daniel: Seine Moschee steht über dem Grabgewölbe des Gründers. Und einen kleinen Isis-Tempel gibt es auch, genau da, wo die Rue Rosette auf die Rue Nebi trifft: ein wahres Gräberfeld – in dessen Mitte sich aber leider wohl eine Leerstelle befindet.«
    Beim Reden fixiert er Serges Brust genau an der Stelle, auf die er zuvor mit Viperfingern gepocht hat. Der Blick verharrt dort, bis die Tram eine Haltestelle anfährt, die Serge als seine Endstation erkennt, und verweilt auch noch, als er auf den Bürgersteig springt und Petrou eine gute Nacht wünscht.

    Am Abend bleibt er daheim und versucht, seinen Bericht zu schreiben. Die Corona hat er auf den Tisch neben dem Fenster gestellt, an die Wand darüber eine Karte von Alexandria und Umgebung gehängt. Er hat keine Ahnung, was er schreiben soll: Im Ministerium weiß man schon, welche Kabel abgerissen, welche Einrichtungen zerstört wurden; sein Bericht soll einen »anderen Blickwinkel« und »die größere Perspektive« aufzeigen. Hin und wieder schaut er auf den Plan und erhofft sich Inspiration, lässt den Blick verschwimmen und versucht durch unterschiedliche Kopfhaltung die Linien, Grate und Konturen in eine Art Bewegung zu versetzen, die ihm einen Ansatz für etwas liefern könnte, was das Royal Flying Corps »Rapport« nannte – doch scheinen sie seinen Blick immer schon im Vorhinein zu spüren, sperren sich und bleiben unbewegt. Bei Rosette gleicht die Mündung des Nils einem mons veneris . Als er eines Abends den Blick von diesem umgekehrten Dreieck zu den kurvigeren Gegenden der Stadt schweifen lässt, streift er den mit Ramleh gekennzeichneten Punkt und erinnert sich an die zerschnippelten Schlangen. »Frevel begehen«, hat Ferguson gesagt: Vermutlich hat er recht. Serge schließt die Augen und versucht zu hören, welche Lieder oder Flüche man um die zu Totempfählen gewordenen Masten angestimmt hatte, doch trägt ihm ein über Mauern und Hecken gespannter Klingeldraht nur geflüsterte Spielzüge zu.
    »Viele Angriffe auf Kommunikationseinrichtungen«, tippt er, »werden offenbar vor allem in Gegenden ohne militärische Bedeutung und haben nur geringe praktische Folgen. Die dadurch verursachten Unannehmlichkeiten für das Funktionieren des Empires im Ganzen, etwa ein Unterbrechen der Kommunikation zwischen (zum Beispiel) einem Country Club und dessen Lebensmittellieferanten, sind vernachlässigbar. Unter symbolischem Blickwinkel jedoch…«

    Er hält inne, da ihm einfällt, dass er besser »Perspektive« statt »Blickwinkel« geschrieben hätte, zieht das Papier heraus – sämtliche fünf Blatt, drei weiße Seiten und zwei Kohlepapiere –, spannt einen neuen Stapel ein und beginnt erneut:
    »Die Mehrzahl der Angriffe auf Kommunikationseinrichtungen erfolgt offenkundig in …«
    Er entdeckt einen Kohlefleck

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