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Titel: K Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T McCarthy
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Fliegenpapier und reißt eine Doppelseite aus der auf dem Tresen liegenden Egyptian Gazette . Während er erneut in die Hocke geht, um weitere Scherben aufs Papier zu fegen, fällt Serges Blick auf die nun sichtbaren Zeitungsseiten. Die Kolumnen sind so lang und schmal wie das Fliegenpapier. Eine listet sämtliche Schiffe auf, die in Port Said im Hafen liegen: Lepanto an Kai 71, Nickios an 28, Aurora an 77. Die nebenstehende Kolumne führt untereinander ihre für die Ausfuhr bestimmte Ladung auf: zehn Tonnen Ätznatron, eine halbe Million Zigarettenpapiere, fünf Tonnen Bohnen. Auf der gegenüberliegenden Seite der Sport: Sett besiegt Naylor in der zehnten Runde im CISC, Othello liegt als Favorit vor City of Cork, und beim großen Preis der Heliopolis Oasis stehen die Wetten für Erzherzog Ferdinand drei zu zwei. Zwischen diesen langen Streifen werden in einer breiteren Kolumne, der Revue Commerciale, auf Französisch die aktuellen Kurse mit denen des letzten Jahres verglichen. Der Preis für coton ist gesunken, der für sel et soda ebenfalls, die Aktie der Landwirtschaftlichen Bank fällt um 1/16 auf 43/16 Pfund. Entlang der Mittelfalte stehen Anzeigen, ausnahmslos für Versicherungen: die Sonnenschein-Versicherung, die Anagnostopolou-Versicherung, die kaledonische Versicherung (Büro: Levant-Company, Passage Chérif 8c) …
    »Jetzt gibt es auch Versicherungen gegen die Aufstände«, stöhnt der Schuster, als er beim Aufrichten sieht, wohin
Serges Blick fällt. »Hätte ich die nur letzte Woche schon abgeschlossen.«
    »Sie tun gut daran, sie noch diese Woche abzuschließen«, rät ihm Petrou. »Ich fürchte, es wird mehr Ärger geben.«
    »Ich zahle ja, ich zahle ja – aber ich sage Ihnen, Morganou, der Preis hat sich bestimmt verdoppelt. Und nächste Woche verdoppelt er sich noch einmal! Und falls«, setzt er hinzu und verdreht dabei die abwehrend aufgerissenen Augen flehentlich gen Himmel, »falls wir die Unabhängigkeit erhalten sollten, kann auch kein kaiserliches Lösegeld meinen Laden vor Unheil bewahren!«
    Am selben Tag besuchen sie einige Zeit später den Schreibwarenladen Cleopatra, und Serge kauft sich ein Farbband für die Corona-Schreibmaschine, die er sich vom Ministerium geliehen hat, um darauf seinen Schadensbericht zu schreiben, seine détaché -Depesche. Außerdem ersteht er ein kleines, schwarzes Notizbuch und etwas Kohlepapier: Offizielle Dokumente, denkt er sich (obwohl ihm niemand dergleichen gesagt hat), sollten stets in dreifacher Ausfertigung geschrieben werden.
    »Sie war übrigens auch in Alexandria«, sagt Petrou, als sie draußen in die Ringbahn steigen.
    »Wer?«
    »Cleopatra. Kam mit siebzehn auf den Thron. Ihr Bruder Ptolemäus der Dreizehnte, also ihr Ehemann, war zehn – und es gab noch zwei weitere Geschwister im Alter von acht und fünf Jahren. Der königliche Hof war der reinste Kindergarten.«
    »Hat sie sich nicht in einen Wandbehang gewickelt?«, fragt Serge.
    »Ja, in einen Teppich. Für Cäsar. Ihre wahre Liebe aber galt Antonius, und das war der, den sie für unsterblich erklären ließ. Nach seinem Tod hat sie sich vergiftet, mit einer Viper.« Er dreht sich zu Serge um, spreizt zwei Finger einer Hand ab, sticht damit nach seiner Brust und rezitiert:
    Siehst du den Säugling nicht an meiner Brust
In Schlaf die Amme saugen?
    Eine Weile bleiben die Finger gegen Serges Brust gepresst, dann wendet Petrou sich langsam ab, bis er halb dem Gefährten und halb dem eleganten Ramleh-Strand zugekehrt ist, der jetzt draußen an ihnen vorübergleitet.
    »Dryden lässt die Viper Cleopatra in den Arm beißen«, fährt er nach einer Weile fort. »Laut Plutarch ist es so auch passiert. Statuen von ihr und Antonius als Isis und Osiris wurden hier entdeckt.«
    Serge schaut hinüber zu den Strandkörben und Sonnenschirmen; es sieht aus, als würden sie dem Meer entgegenrücken, das mit kleinen, scheinbar unbewegten Segelbooten gespickt ist, und er stellt sich vor, wie eine zweispitzige Nadel Haut durchbohrt. Die Tram wird langsamer; Petrou bedeutet ihm, dass sie hier aussteigen.
    »Telegraphenleitungen einfach gekappt … aber wo?«, murmelt er vor sich hin, während sie an den Gleisen stehen und sich suchend nach allen Seiten umdrehen. »Aha, dort. Siehst du?«
    »Ja, sehe ich«, erwidert Serge. Wie eine Schnur wurde das Kabel durchschnitten – und dann in weitere, kleinere Stücke zerteilt. Die daneben verlaufende Straßenbahnleitung blieb unbeschädigt. Petrou tritt einen Schritt

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