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Titel: K Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T McCarthy
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Hand, so manchen Unfug getrieben
hatte. Den Nachmittag über ist Pacorie damit beschäftigt, dem Fluss Proben zu entnehmen, Röhrchen an einer Schnur vom Bootsdeck herabzulassen, sie wieder einzuholen und ihren Inhalt in einen Becher zu schütten, in den er dann diverse Teststreifen tunkt. Das Wasser ist trübe, voll mit dem Schlick, der die Felder düngt und seit unvordenklichen Zeiten transzendente, hellenistische Träume unter sich begräbt. Während Pacorie auf ein Ergebnis der Teststreifen wartet, sieht er zu Serge hinüber, als wolle er genau verfolgen, wohin Serge den Blick richtet. Jedes Mal, wenn er das tut, schaut Serge weg, meist zu Alby hin, der seinerseits offenbar Pacorie beobachtet und dabei gelegentlich eine Eintragung in sein Notizbuch macht: Wie der Ochse im Geschirr scheint das Misstrauen enge Kreise zu ziehen. Von Albys Einträgen angespornt, holt Serge sein eigenes Notizbuch hervor, doch will ihm einfach nicht einfallen, was er festhalten könnte. Méfie-toi sind die einzigen Worte, die ihm in den Sinn kommen, also schreibt er sie auf. Nachdem er sich etwa eine halbe Stunde lang gefragt hat, warum Pacorie und Alby eigentlich an dieser Expedition teilnehmen, oder warum nach Meinung ihrer Agenturen der jeweils andere an Bord ist, oder was sie die rivalisierende Agentur für den eigentlichen Anlass der Anwesenheit von Pacorie respektive Alby halten lassen wollen, kommt ihm der Gedanke, dass er sich dieselbe Frage stellen sollte: Was ist der wahre Grund dafür, dass man ihn, durch eine Flut von entgegenströmendem Sediment, nach Sedment schickt? Könnte er selbst – ohne sein insu , wie Pacorie sagen würde – eine Art Lockvogel sein: eine falsche Grabkammer, zudem eine in Bewegung, eine, die langsam über die Oberfläche der Ereignisse gezerrt wird? Sollte dies der Fall sein, dann von wem? Zu wessen Nutzen oder Schaden? Wieder erfasst ihn ein Schwindel, er schaut auf die beiden Wörter in seinem Notizbuch und unterstreicht das zweite: Méfie-toi …

    Später, als Minztee und Kekse serviert werden, unterhält er sich mit Laura, die ihm erzählt, sie habe am St. Hilda College in Oxford Geschichte studiert.
    »Meine Dissertation habe ich über Osiris geschrieben«, erklärt sie und fährt fort, ihm in groben Zügen diesen bekannten Mythos zu schildern: wie der Gott zerstückelt wurde und seine Schwester Isis nach den Leichenteilen suchte; wie sie ihren Sohn Horus von jenem einen Teil empfing, das sie nicht finden konnte und deshalb für sich erschaffen musste, und wie Osiris dann als Gott des Todes und der Wiederauferstehung von den Menschen am Nil verehrt wurde, die ihn in ihren Kunstwerken mit einem großen Phallus darstellen, der sich aufrichtet, um jeden Tag zu besamen.
    »Ein täglicher Wiederaufständer«, spöttelt Serge. Laura mustert ihn durch ihre Brille und verzieht keine Miene. Er denkt an die jungen Frauen, die er während seiner Zeit in Oxford durch die Tore von St. Hilda strömen sah – wie sie Rad fuhren, mit Freundinnen schwatzten oder auf dem Weg zu Vorlesungen ihre Bücher an sich drückten: Vielleicht ist sie eine von ihnen gewesen. SOMA: Die Gebäude der Schule für Militärische Aeronautik verschmelzen in seiner Erinnerung mit denen der Grabanlage, die Petrou ihm auf dem Weg nach Ramleh von der Ringbahn aus zeigte, die Königsgräber – und Alexander, ein junger mazedonischer Soldat, nimmt die Gestalt eines Henkelkreuz und Zeremonialbart tragenden Gottes an.
    »Die Sonne selbst drang in den Körper des Osiris ein«, erzählt Laura. »Er verschluckte sie, gab sie wieder von sich und schuf damit den Kreislauf der Schöpfung, die zeitlose Gegenwart der Ewigkeit. Die alte ägyptische Kosmologie kannte keine Apokalypse, kein Ende, nur die Zeit, die sich endlos dreht …«
    Lauras kleiner Vortrag ist zu Ende, und eine Weile herrscht eine Stille an Deck, die nur vom regelmäßigen Geplätscher
des Bugs und dem Knarren der Pinne unterbrochen wird. Der Mann, der sie bedient, raucht eine schwarze Holz- chibouk ; ein zweiter Flussmatrose sitzt mit übergeschlagenen Beinen am Bug und starrt wie ein hypnotisierter Narziss ins Wasser. Zwei weitere Ägypter vervollständigen die Mannschaft: Der eine liegt an seinem angestammten Platz auf dem Kabinendach und zieht nur den Baum des Vordersegels träge über sich hinweg, wenn sie wieder einmal von einem Ufer zum anderen wechseln; der zweite Mann hält sich im Innern verborgen und bereitet das Essen zu. Gleichgültig gleitet die Landschaft

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