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Titel: K Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T McCarthy
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ziellos durch einen Stapel Papiere und findet darin auch das kleine, unbenutzte Notizbuch, das er sich in Alexandria gekauft hat. Er steckt es in die Jackentasche; er will darin seine Gedanken darüber festhalten, ob und warum Sedment für die Parallelstation in Frage kommt. Darunter liegt das Blatt Papier, über das er quer PUDENDUM ADDENDUM getippt hat. Mit einem Mal fällt ihm ein, dass er den dritten und letzten Durchschlag seines détaché -Berichtes an Widsun abschicken sollte. Da ihn sonst offenbar sowieso niemand lesen will, wird er tatsächlich – wie verlangt – ausschließlich für Widsun sein. Er fischt den Durchschlag heraus: Die Schrift ist blass, Kohleflecken verunstalten den Text, aber er ist noch lesbar. Serge schiebt den Bericht in einen Umschlag, den er adressiert und dann zukleben will, ändert aber seine Meinung. Er nimmt den Bericht wieder heraus und schiebt stattdessen die illustrierte Speisekarte des Vereins für Hortikultur hinein: »Metamorphosibus Insectorum«, diese makabre Palisade, die hungrigen Maden und Motten, die mit ihren stumpfen Panzern und scharfen Antennen nicht nur an Wörtern herumkratzen und schaben, auch an der Welt. Dann versiegelt er den Brief und wirft ihn in den
Ausgangskorb, der morgen geleert und dessen Inhalt mit der Post verschickt werden wird.
    Die Dahabiya heißt Ani – wie Serge erfährt, als er am nächsten Morgen ankommt und ihren Namen an den Rumpf gepinselt sieht; sie legt kurz vor Mittag ab. Der Mann am Ruder des Schleppers, der sie vom Kai in die Flussmitte zieht, trägt eine gleichgültige Miene zur Schau; und die Mannschaft der Ani erledigt ihren Dienst mit demselben desinteressierten Gesichtsausdruck: Segel setzen, Taue belegen, Pinne bedienen. Sie segeln leicht diagonal über den Fluss – kein Aufkreuzen, da der Wind von achtern kommt, doch folgen sie auch nicht direkt seinem Verlauf: Immer dann, wenn sie sich erst dem einen, dann dem anderen Ufer nähern, schwingt der Baum träge übers Vorderdeck, und der Steuermann wendet das Schiff. Sie fahren mit dem Wind, aber nicht mit der Strömung, die nämlich treibt das Wasser unter den schwankenden Bug durch und drängt die Dahabiya stetig leewärts ab.
    »Ist nicht intuitif «, sagt Pacorie, als er bemerkt, wie Serges Blick der Strömung folgt.
    » Was denn?«
    » Appellation : Unterägypten, Oberägypten.«
    »Stimmt«, sagt Alby, der neben ihnen auf Deck sitzt. »Ich habe mich schon immer gefragt, warum der Norden Unterägypten und der Süden Oberägypten heißt.«
    »Höhenunterschied«, erklärt Pacorie. »Das terrain fällt zum Meer hin ab. Der Fluss fließt von Süd nach Nord. Einmal in jedem Jahr débords der Nil und lagert schwarzen Schlamm auf den Feldern ab. Deshalb ist das Land schwarz – aber nur ein schmaler Korridor entlang des Flusses.«
    »Ein Streifen«, sagt Serge.
    » Précisément. « Pacorie nickt zustimmend. »Nur auf diesem Streifen wird angebaut. Der Schlamm lässt beidseits des Flusses üppige marécages mit Fischen und Vögeln entstehen, und
die Erde ist oxygène -gesättigt, also gut für Ackerbau. Die Dörfer liegen gleich oberhalb der débordage . Dahinter kommen Hügel und die Wüste: kein fruchtbares terrain dort, auch völlig unbewohnt.«
    »Würde ich nicht sagen«, brummt Alby. » Sie vergessen die Behausungen der Toten.«
    Pacorie stülpt die Unterlippe vor und dreht zustimmend die Handflächen nach oben. Dampfer tuckern vorbei, folgen direkt dem Flussverlauf, und dies mit mehr als doppelter Geschwindigkeit. Während Serge ihnen nachsieht, überkommt ihn das seltsame, schwindelerregende Gefühl, sie würden in ihrem anachronistischen Segelboot irgendwie auch leewärts durch die Zeit treiben, rückwärtsdriften, vielmehr seitwärts , und die Haftung mit der Gegenwart verlieren.
    »Unterwegs nach Luxor«, ruft Falkiner von mittschiffs herüber und zeigt auf die Dampfer. »Dabei ist das ganze Areal nur eine falsche Grabkammer.«
    »Wieso eine falsche Grabkammer?«, fragt Serge.
    »Ein Trick«, erklärt Laura und reibt sich wieder die Stirn, »der Pharaonen, um die Plünderer in die Irre zu leiten, die, wie sie ja wussten, eines Tages kommen und über ihre Begräbnisstätten herfallen würden. Also ließen sie in einem Teil der Anlage, der relativ leicht zu entdecken war, eine zweite, falsche Grabkammer bauen und sie mit nicht allzu wertvollen Dingen füllen. Die Diebe würden glauben, den Fund ihres Lebens gemacht zu haben, und nicht weitersuchen; die eigentliche Kammer

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