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Titel: K Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T McCarthy
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irgendwo anlegen), von dessen Turm der Gesang eines Muezzins herüberweht, sagt der Franzose – und nimmt damit das gestrige Gespräch wieder auf, als wäre keine Zeit bis zum jetzigen Moment vergangen:
    »Ist auf mehr als eine Weise nicht intuitif .«
    »Wieso?«
    »›Ober‹ und ›Unter‹. ›Ober‹ sollte neuer sein, ist aber älter. Seine Landschaft wurde früher geformt, schon als der Kontinent construit wurde.«
    »Zivilisation und Kultur sind auch älter«, wirft Alby ein. »Hier hat alles angefangen.«

    »Ich dachte, das wäre in Alexandria gewesen«, sagt Serge.
    »In Alexandria ging es zu Ende«, korrigiert ihn Alby. »Das Christentum und die Vernunft, die dort ihre Wurzeln haben, gehen auf eine alte, abgewandelte Pharaonensage zurück. Hinter dem Kreuz das Henkelkreuz, hinter dem Monotheismus eine Fülle älterer Gottheiten …«
    Träge schwingt der Baum des Vordersegels über ihre Köpfe durch die Luft, geführt vom Arm des phlegmatischen Matrosen. Taljen surren, Zahnräder klicken. Serge hat sich längst so sehr an den Rhythmus des Schiffes gewöhnt, dass alles davon geprägt zu sein scheint: Ihm ist, als befände er sich nicht länger in der Natur, sondern in einem gigantischen Apparat, etwa einer Uhr, einem Theodolit oder Sextanten. Die Bewegungen der durch den Ufermorast staksenden Reiher und Störche kommen ihm mechanisch vor; das Ufer, die Felder, Dörfer und die Wüstenstriche dahinter wirken ebenso mechanisch, wechseln einander ab und wiederholen sich wie ein flacher Bildstreifen, der vom schwerfälligen Motor eines Uhrwerks immer wieder an ihm vorbeigezogen wird. Wüstenabschnitte, die verschiedene Epochen suggerieren – Gegenwart, Napoleonische Zeit, Altertum –, schieben sich wie Dias vor sein Auge, und mit automatischer Regelmäßigkeit folgt eins dem anderen; manchmal erscheinen mehrere Epochen gleichzeitig, als überlappten sich zwei, drei Bilder. Selbst die Bewegungen der Menschen haben etwas Mechanisches: das Stopfen der chibouk, das Bedienen der Pinne, das Reiben über die Stirn, Röhrchen, die herabgelassen und wieder heraufgezogen werden, das Spionieren. Was geschieht, passiert in derselben Abfolge wie tags zuvor: Alby, Pacorie und Serge verharren in ihrem Patt; Tee und Kekse werden serviert, Laura belehrt Serge über Osiris, und die Informationen entströmen ihrem Mund wie ein Lochkartenstreifen – stetig, gleichmäßig, als hätte sie, indem sie sich über die Stirn strich, ihren exegetischen
Apparat auf ein bestimmtes Tempo eingestellt, von dem er erst nach entsprechender Instruktion wieder abweichen darf. Diesmal beschreibt sie ihm die Feste von Abydos: »Menschen kamen mit Laternen und Statuetten zum Fluss und warteten auf die Ankunft des Totenschiffes. Wenn es kam, riefen sie: ›Osiris wurde gefunden!‹, und ein Priester mit Schakalmaske führte den Zug zum Friedhof. Er trug eine Kiste vor sich her und …«
    »Eine Kiste?«, fragt Serge.
    »Ein Holzkiste mit Schlick und Samen: sein Leichnam, durch Isis’ Mühen wieder vollständig. Die Statuetten – aus Mais, Sand und Gemüsepaste – wurden in der Erde vergraben, und drei Tage später, wenn man im Tempelhof eine Säule errichtete, erreichten die Feierlichkeiten ihren Höhepunkt …«
    Serge hört ihr zu, doch stellt er sich – in Gedanken ganz beim Mechanischen – die Kiste des Priesters wie eine Art Funkapparat vor, gefüllt mit schwarzen Metallspänen. Das Bild ist ihm so deutlich vor Augen, dass er sie unterbricht: »Isis war eine Kohärerin.«
    »Eine was?«, fragt sie.
    »Die ersten Empfänger funktionierten durch Kohärenz«, erklärt er. »Ein Signal richtet die Späne aus und wird in kurzen oder längeren Stößen übertragen. So kam es zu den Punkten und Strichen des …«
    »Wovon reden Sie eigentlich?«, fragt Laura.
    »Funk«, antwortet er. »Ist auch durch ein Zusammenfinden möglich, durch Kohärenz.«
    Falkiner, der ihr Gespräch mit angehört hat, grunzt vergnügt und ruft Laura dann zu sich, damit sie ihm bei der weiteren Planung hilft. Am Abend, nachdem die Insekten eingefallen und die Netze aufgehängt sind, essen sie wieder Taube mit Datteln. Falkiner betrinkt sich erneut. Diesmal deklamiert
er Serge zu Ehren aus dem Kapitel »Die Pylonen«: »›Ehre sei Dir, spricht Horus, O erster Pylon des stillgestandenen Herzens. Ich bin meinen Weg gegangen. Ich kenne Dich, und ich kenne Deinen Namen, und ich kenne den Namen des Gottes, der über Dich wacht …‹«
    »Den Teil kenne ich«, wirft Serge

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