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Titel: K Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T McCarthy
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zweites rhythmisches Geräusch mischt sich darunter: das monotone Geschwirr und Geklirr einer Maschine im Nachbarraum, übertönt von hellerem, schrillem Vogelgesang. Dann webt sich noch ein dritter Laut ins Tongeflecht: Schritte, die deutlicher werden, je mehr sie sich der Tür nähern, durch die Serge und Sophie gerade gekommen sind. Bodner tritt ein, einen Eimer mit roten Beeren in der Hand, den er neben dem Kessel absetzt, ehe er zum Webraum geht. Als sie ihm folgen, bückt sich Sophie, um sich eine Handvoll kleiner Beeren zu greifen.
    »Weit aufmachen«, befiehlt sie Serge und hält dabei die Hand über seine Lippen: »Medizin.«
    Mit einem »Aaaa « macht er den Mund auf; sie stopft die Beeren hinein; er schließt die Lippen, kaut. Ein bitterer Geschmack, der ihn begleitet, als er an dem großen Webstuhl vorbeigeht, der den größten Teil des Raums einnimmt und dessen Kolbenstangen einen großen Kamm durch die Kette ziehen, während Webseide von einer Spindel eingeschossen wird, die sich am Stuhlrand ruckelnd abspult. Wieder und wieder ziehen die Kammzähne über dasselbe Kettstück, als bürsteten sie wie besessen immer dieselben Haarbüschel. Spindelseits liegt das feste, fertige Gewebe, kolbenseits verlaufen parallele Schussfäden, unverbunden wie die Saiten eines seltsamen, tonlosen Klaviers. Dennoch ist Musik zu hören, Musik von Kanarienvögeln, die in baumelnden Käfigen hocken, orangebraun oder braungrau mit regelmäßigen, symmetrischen Flecken auf Brust und Rücken; sie tirilieren und zwitschern schrill und energisch in sich überlappenden Intervallen, als erteilten sie dem Webstuhl Anweisungen im Maschinenkode. Die Frau umrundet den Webstuhl und sorgt dafür, dass er diesen Anweisungen auch Folge leistet, reiht neue Spindeln
auf, klaubt Fusseln vom gewebten Stoff, stellt sicher, dass die parallelen Fäden auch im gleichmäßigen Abstand sind: ein menschliches Bindeglied.
    Serge und Sophie folgen Bodner in den Lagerraum. Aufgereiht an den Wänden liegt fertige Seide gefaltet und gefältelt in Stapeln, die bis halb zur Decke hinaufreichen. Dazwischen hängen seidene Tapesterien, große, gemusterte Webarbeiten. Ein Teppich zeigt in Rot und Gold vor schwarzem Moiré einen König auf seinem Thron, wie ihm von der Königin ein Kind gereicht wird, vielleicht auch von einer seiner Palastfrauen, während im Hintergrund Höflinge schwatzen. Auf einem zweiten Teppich an der gegenüberliegenden Wand sieht man eine Frau, die offenbar einen Löwenkopf in Händen hält und einem Mann hinterherläuft, der wie eine Frau gekleidet zu sein scheint, während ihr Hirten nachschauen und die überaus menschlich wirkenden Schafe lächelnd weitergrasen. Auf anderen Teppichen sind Chiffren statt Bilder zu sehen, fließende, tanzende Zeichen, die an chinesische oder indische Schrift erinnern, auch an eine Art Notenschrift. Eine Frau geht zwischen den Wandteppichen umher, wählt Stoffproben von Stapeln aus und bringt sie Serges und Sophies Mutter, die auf Bodenkissen sitzt. Ihre Beine stecken unter einem niedrigen Tisch, auf dem bereits mehrere Proben ausgebreitet liegen, damit jener Mann sie inspizieren kann, der unbequem am anderen Tischende kniet. Sie hat das Gesicht abgewandt und ahnt deshalb nichts von Serges, Sophies und Bodners Gegenwart.
    »… zweihundert Meter Crêpe de Chine … zweihundert Jacquard… dreihundert Moulinier«, der Mann liest aus einem Notizbuch ab, »zweihundertfünfzig Organsin und Trame…«
    »Original Versoie«, sagt sie.
    »Natürlich, Mrs Karrefax«, antwortet er. »Die beste Seide weit und breit. Wenn Sie fünfmal so viel herstellten, würden wir auch alles kaufen.«

    »Fünfmal? Sie wollen fünfmal so viel?«, fragt sie.
    »Ich sagte, wenn Sie fünfmal so viel herstellten, würden wir es kaufen.«
    »Warum sollte ich fünfmal so viel machen wollen?«, fragt sie.
    »Sie würden mehr Geld verdienen.«
    Sie starrt ihn fragend an, als hätte sie den letzten Satz nicht verstanden.
    »Geld.« Seine Lippen formen das Wort überdeutlich, und er hebt die Stimme – wird aber gleich wieder leiser, als ihm aufgeht, das Letzteres keinen Unterschied macht, um dann fortzufahren: »Und mit dieser neuen Technologie, so rasant, wie die sich entwickelt, neues Jahrhundert und so, da könnten Sie dran denken …«
    »Was sollen wir hier mit mehr Geld? Wir sind doch nicht arm«, antwortet sie.
    »Mag sein, mag sein. Aber Ihre Methoden sind ein wenig antiquiert, das müssen Sie zugeben. Der Webstuhl, zum

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