K
Beispiel, der ist mindestens …«
»Ein hugenottischer Webstuhl. Bessere wurden nie gebaut. Wo finden Sie sonst solche Seide?« Mit einer Geste ihres Arms umfasst sie den Raum, die Tuchstapel und Wandteppiche – und wie sie mit den Blicken ihrem Arm folgt, entdeckt sie Bodner und die Kinder, Störenfriede bei diesem kleinen Arbeitsgespräch. Sie verzieht das Gesicht – mustert die Kinder aber mit durchaus nicht unfreundlichem Blick. »Die Kostüme«, seufzt sie.
»Papa sagt, weil ich Rhea bin, sollte meins voller Sterne sein«, sagt Sophie.
»Voller Tränen?«
» Sterne «, wiederholt Sophie.
»Sterne«, gibt sie zurück. »Und du, Serge?«
Serge . Ihm gefällt, wie sie seinen Namen ausspricht: Während
bei seinem Vater daraus ein wolliges Sörsche mit angehängtem E wird, hört sich sein Name aus ihrem Mund leicht und vornehm an – »Särch« – und verklingt mit einem gehauchten Sch.
»Ich bin Kronos. Also Saturn. Mir soll ein Laken vom Kopf herabhängen. Aber Papa meint, ich soll dir sagen, er bräuchte auch Ströme von Nektar, die müssen golden sein und vier Meter lang. Und die anderen Kinder sind Curetes. Das sind Hirten, sagt Mr Clair. Und sie sollen klirrende Lanzen tragen.«
»Papa meint auch, wir sollen dir sagen, dass Serge eine Sense braucht«, wirft Sophie ein.
»Nathaniel ist Poseidon«, fügt Serge hinzu, »und er muss als Schaf verkleidet werden, damit er sich zwischen richtigen Schafen verstecken kann.«
»Sagt eurem Vater, er soll Nathaniel und die übrigen Kinder morgen früh zum Maßnehmen herschicken. Von mir aus auch das Schaf – aber erst am Morgen.« Während ihre Mutter spricht, tanzen ihre Hände miteinander, die Finger der einen spazieren über den Handteller der anderen, ehe sie auffliegen, um an ihre Brust zu klopfen. Bodner signalisiert zurück. Seine schiefe Oberlippe hebt und senkt sich dabei leicht, als würde er langsam etwas kauen.
»Er sagt ›Mohn‹«, sagt Sophie zu Serge.
»Weißt du doch gar nicht«, erwidert Serge.
»Weiß ich wohl.«
Ihre Mutter sagt dem Käufer: »Ich muss jetzt gehen. Der Tee wartet auf mich.«
»Es war mir ein Vergnügen, Mrs Karrefax, wie immer«, antwortet er und erhebt sich. »Und bitte denken Sie darüber nach, was ich …«
Doch sie hat sich schon von ihm abgewandt; seine überflüssig gewordenen Worte verenden in der Luft. Sie folgt Bodner, der den Raum verlassen hat, und streicht im Vorbeigehen
leicht über Serges Haar. Die beiden Kinder stehen eine Weile verlassen an der Tür, still, starren zu Boden. Dann zwitschert Sophie, schriller als die Vögel im Nebenraum: »Komm, wir spielen ein bisschen Chemie!«
III
Sie laufen zu den Ställen. Auf ihrem Weg durch die Irr- und Mosaikgärten hören sie die Tagschulkinder, wie sie ihre Zeilen für das Historienspiel üben:
Rings nun Bäche von Milch, rings walleten Bäche von Nektar; / Rings auch tröpfelte gelb aus grünender Eiche der Honig. / Als Saturnus versank in des Tartarus Dunkel.
Die Zeilen verketten sich zu Endlosschleifen, werden wiederholt und gehorchen den gebellten Befehlen ihres Vaters, dessen Stimme für ein, zwei Worte barsch und laut die zaghaften, unsicheren Kinderstimmen übertönt, um dann wieder in den Hintergrund wegzublenden. Von dicken Giftbeerbüscheln gedämpft, verklingt der Gesang, sobald sie unter das Spalier treten.
Die Werkstatttür, deren Fenster ein Impasto aus Staub und Dreck überzieht, ist unverschlossen und öffnet sich knarrend, als Sophie sie aufstößt. Sie sehen eine Ansammlung von Instrumenten, die verstreut auf Regalen und Bänken liegen: manometrische Flammapparate und Setzmaschinen, Phonautographen, Rheotome, alte Hotelmelder und Telegraphenschalter – die meisten geöffnet, ausgenommen, vorquellender Kabelsalat, verhedderte Drähte ziehen sich von einem Regalbrett zum nächsten. Sophie entscheidet sich für einen niedrigen Tisch, streckt den rechten Arm aus ihrer langen
Seidenrobe, fegt damit so bedächtig wie großflächig über den Tisch und wischt unterschiedslos alle Gegenstände zu Boden. Serge beginnt unterdessen die Schränke zu öffnen.
»Wo ist der Bausatz?«, fragt er.
»Über dem Werktisch.«
Er klettert hinauf und holt aus einem verglasten Wandschrank einen großen Chemiebaukasten. Er hat ihn von seinem Vater zu seinem siebten Geburtstag geschenkt bekommen, doch gehört er inzwischen wohl eher Sophie. Sie greift aufgeregt danach und sagt: »Hol auch das Buch.«
Mit der Hand tastet er den Schrank ab und zieht
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