K
Motte nach der anderen, halten sie an den Flügeln zwischen Daumen und Mittelfinger und setzen sie in eine neue Schachtel, damit sie dort mit dem Eierlegen fortfahren können. Versiegt bei einer Motte der stete Eierstrom, wird sie ein letztes Mal gegriffen und zum Sterben auf den Boden geworfen; an ihrer Stelle wird eine neue Motte zur Eiablage in die Schachtel gesetzt.
Serge hatte laut keuchend die Türschwelle überquert, steht jetzt aber, nachdem er Atem und Tempo dem ruhigen, steten Rhythmus des Raums angepasst hat, still hinter den knienden Frauen und sieht ihnen zu. Sie halten den von ihm abgewandten, in die Hände gestützten Kopf dicht über die Schachteln gebeugt, sodass die berockten, ihm zugewandten Gesäße hoch in die Luft ragen. Die gefältelten Röcke fallen locker über die Schenkel, umspannen aber straff den kurvigen Hintern. Serge konzentriert sich darauf, lässt den Blick von einem Steiß zum anderen wandern. Nach einer Weile dreht er sich um und sieht einer dritten knienden Frau zu, die, wie die anderen vornübergebeugt, geschlüpfte Larven auf eine Matte legt. Diese Frau schaut ihn an. Ihre Arme sind ausgebreitet, die Schultern nach hinten gezogen, wenn sie sich damit abplagt, die nacktschneckengleichen Kreaturen an ihren Platz zu legen. Sie ordnet sie in Reihen; ihre Hand richtet jede Reihe immer wieder aufs Neue, so wie die Hand eines Bäckers die Reihen ungebackenen Gebäcks auf einem Blech sortiert. Sooft sie sich vorbeugt, klafft die Bluse oben zwei, drei Zentimeter auseinander, was Serge einen Blick auf ihre Brust erlaubt. Die Larven krümmen und winden sich ein wenig, die graubraunen Leiber sind weich und runzelig wie die Rüssel winziger Elefanten.
Er ist hergekommen, weil er seine Mutter sucht, der er vom Vater eine Nachricht überbringen soll: irgendwas wegen
der Kostüme für den Chor, für Kronos, die Kinder, für Saturn und wegen Samstag. Doch das hat Zeit. Zwei weitere Frauen betreten die Brutkammer mit auf den Rücken geschnallten Körben. Kaum haben sie ihre Last abgestellt, zieht die Frau neben der Matte Hände voll Maulbeerblätter aus den Körben, zerstückelt sie und streut sie über die Larven. Die Seidenraupen zucken zusammen und rollen sich ein, sobald die Blätter sie berühren, schließlich aber rollen sie sich wieder auf, kriechen auf die Blattsplitter zu und öffnen die Mundhöhlen. Die Frau deckt die Matte mit einem Gazetuch ab, um sich dann einer zweiten Matte mit größeren Larven zuzuwenden, über die sie ebenfalls zerrissene Blätter streut. Die gerade erst hereingekommenen Frauen greifen sich die leeren Körbe neben den beiden Matten und schlagen bei ihrem Weg nach draußen zurück zur Maulbeerwiese einen Bogen um Serge.
Ein Ton hängt in der Luft, eine Art Klicken, ein nervöses, unbefriedigendes, verhaltenes Scharren, das nicht von den Eier legenden Motten auszugehen scheint, sondern von der anderen Seite des Raumes aus einer breiten Mulde kommt. Serge geht hinüber, kniet sich hin und sieht etwas, worauf er bei früheren Besuchen nicht besonders geachtet hat. Von Brettern eingefasst, paaren sich unzählige weiße Motten. Manche kriechen auf der Suche nach einem Partner mit zuckenden Fühlern umher, andere prallen blindlings zusammen und ringen kurz miteinander, ehe sie weiterziehen, doch die meisten haben sich in andere Motten verkeilt. Die Männchen krabbeln über die Weibchen, bis Brustkorb über Brustkorb liegt, Flügel über Flügel. Kaum sind sie vereint, beginnen sie zu zappeln und zu vibrieren, als versuchten sie, sich wieder voneinander zu lösen oder in ihrer neuen Formation irgendwohin zu gelangen. Serge greift hinein und stupst ein Pärchen mit dem Finger an, das Knäuel aus Beinen und Flügeln fällt um und
trennt sich, woraufhin jede Hälfte im Kreis taumelt, ehe sie den langsamen Prozess der Wiederannäherung beginnt. Als sie sich erneut gefunden haben, nimmt Serge sie auf die Hand, hebt sie hoch in die Luft und ruft: »Orville und Wilbur, ihr schafft das!«
Er stößt die Hand nach oben, schleudert das Pärchen zur Decke hoch, aber es fällt in bleiernem Bogen wieder zu Boden und ist erneut getrennt. Serge greift sich das Männchen, vielleicht auch das Weibchen, hält das Tier mit den Fingern einer Hand am Brustkorb fest und zupft ihm mit der anderen die Flügel ab. Dann setzt er den amputierten Torso der Motte zurück in die Mulde, wo sie herumtaumelt wie zuvor. Serge nimmt die Flügel näher in Augenschein. Aus der Nähe gleicht ihre
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