K
beobachtet Miss Hubbard, wie sie erst den Chor auf die Bühne schickt, dann, gleich danach, die Komparsen, die keinen Text aufzusagen haben. Da sie nicht seine Lehrerin ist und er ihr folglich nicht direkt untersteht, schleicht Serge sich auf die andere Lakenseite und sieht zu, wie die Schauspieler ihre Plätze einnehmen: Der Chor in einer Reihe auf den Bühnenlinken, die Komparsen dagegen laufen von links nach rechts und geben vor, mit ihren Pappforken den Boden aufzulockern. Dann schubst Miss Hubbard die etwas ältere Amelia auf die Bühne, die sie langsam betritt, in der Hand einen großen Strauß Mohnblumen. Auf ein Stichwort von Serges Vater beginnt der Chor:
Ceres zuerst hat Schollen mit hakigem Pfluge gewühlet;
Ceres zuerst gab Früchte dem Land und mildere Nahrung:
Ceres gab die Gesetze …
Ihre Blicke huschen nervös von einer Seite zur anderen. Die merkwürdigen, ungenau synchronisierten Stimmen werden vom Wind verwirbelt; Worte entschlüpfen und verwehen. Karrefax dirigiert von seinem Platz aus, drängt sie, lauter zu sprechen. Ceres/Amelia wedelt mit der Hand vage in Richtung der Forken schwingenden Komparsen, die daraufhin aus ihren bäuerlichen Röcken goldenes Konfetti hervorholen und in die Luft werfen; hell blitzend fliegt es auf und wird vom Wind weit über den Rasen getragen. Das Publikum aaaht.
»Melissas«, sagt Karrefax zu niemand Bestimmtem. »Honigseidene Ernte.«
»Die edle Ceres sieht wie Mrs Karrefax aus«, murmelt eine Dame aus dem Publikum.
Das stimmt: Amelia hat dichtes, braunes Haar, und sie wirkt müde und gelangweilt. Serge dreht sich zu seiner Mutter um, doch fällt sein Blick auf den neben ihr sitzenden Widsun, der mit den Händen Zeichen macht, wenn auch nicht in der lebhaften Sprache, in der sich seine Mutter und Bodner unterhalten. Vielmehr formt er wiederholt Signale, indem er einfach die in seinem Schoß liegende Faust unterschiedlich lang öffnet und schließt. Sein Blick ist auf die Bühne gerichtet, die Hand aber auf Sophie, die zwei, drei Meter von ihm entfernt an ihrem Platz direkt links von der Bühne hinter einer Reihe von in einer Kiste angeordneten Flaschen und Ampullen sitzt (vor zwei Jahren hat sie das Bühnenspiel aufgegeben, um ihre Rolle als Verantwortliche für Bühnen- und Spezialeffekte zu übernehmen) und die gleichen, kaum wahrnehmbaren Morsesignale an ihn zurückschickt.
Der kleine, pausbäckige Giles tritt nun hinter dem Laken als pummeliger Cupido hervor, an der bogenfreien Hand von seiner Bühnenmutter Venus gehalten, in Wahrheit seine ältere Schwester Charity. Mit seltsamer, eigenartig summender Stimme führt sie ihn wohlmeinend umher und deutet an, dass er nun, da die Großen der Erde seiner »mächtigen Hand« (Gekicher aus dem Publikum) gehorchen, Einfluss auf die Unterwelt nehmen und so «sein Reich mehren« solle.
»Da spricht Bismarck zum Kaiser«, brummt Widsun Karrefax zu, ohne dabei den Signalaustausch mit dessen Tochter zu unterbrechen.
Giles /Cupido fischt einen hölzernen Pfeil mit Gummisaugnapf an der Spitze aus dem über die Schulter geschwungenen Köcher, und seine Schwester/ Mutter hilft ihm, den Pfeil anzulegen und den Bogen zu spannen. Seine Hände lassen los, aber seine Schwester hatte alles fest im Griff: Mit einem elastischen Pjong fliegt der Pfeil in hohem Bogen über den Maulbeerrasen, um jenseits davon ins Unterholz am Fluss zu fallen.
»Nun ist der Tod selbst mit Verlangen infiziert«, erklärt Karrefax.
Es folgt eine Pause. Schauspieler wie Publikum schauen in die Richtung, in die der Pfeil verschwand, als erwarteten sie, dass nun von dort, wo er niederfiel, etwas auftauchte. Nach einigen Sekunden Stille weht ein Schafsblöken von Arcady Field zum Rasen herüber. Alle lachen.
»Hoffentlich hat er keines getroffen«, scherzt ein Mann unnötigerweise.
Die Komparsen haben ihre Forken hinter der Lakenkulisse abgelegt und kehren mit zweig- und laubumwickelten Stangen zurück, die sie in einem Halbkreis aufstellen, um dann zu ihren Füßen ein rundes, grünes Stück Seide auszubreiten, das wohl einen Teich darstellen soll. Sophie schleicht sich heran,
um ihm zu etwas Form zu verhelfen, und glättet das Ufer, ehe sie auf ihren Platz zurückhuscht. Der Chor singt:
Mit tiefgehender Flut liegt nahe den Mauern von Henna
Pergus genannt, ein See. Mehr Sänge von Schwänen als dieser
Hört selbst nicht in dem Strom hingleitender Wellen Kaystros.
Rings das Ufer entlang kränzt Wald die Gewässer und wehret
Phoibos’
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