K
sich: » Haaaaaaaaa .«
Es ist anhaltender Ton, in die Länge gezogen und bar jeder Harmonie oder Modulation. Nach wenigen Sekunden regen sich einige der Elternkandidaten unruhig auf ihren zu kleinen Stühlen, ändern die Haltung. Wie in Trance oder von Geistern besessen starren die Kinder mit leerem Blick geradeaus; ihre Schultern waren durchgedrückt, als sie zu diesem langen Brummen ansetzten, im Verklingen nun geben sie nach und sacken langsam in sich zusammen. Karrefax zieht die Hände zurück, dann stößt er sie noch einmal vibrierend vor, und die Kinder stöhnen aufs Neue.
» Haaaaaaaaa .«
Beim zweiten Mal wirkt der Ton wie eine Antwort, eine matte, nichtssagende Replik auf eine hohle Frage. Karrefax’ Hände ziehen den Klang so weit wie möglich in die Länge, bis die Stimmen der Kinder vor Anstrengung zittern. Schließlich aber geraten sie ins Stocken, und das Geräusch geht in ein Seufzen über, als die unartikulierten Geister, die in ihre Körper gefahren sind, aufgeben und wieder von ihnen lassen.
»Kinder«, sagt Karrefax und dreht die Hände, sodass die Innenflächen auf die Podiumsdielen weisen, »setzt euch!«
Die Kinder sitzen wieder auf ihren Stühlen. Karrefax zeigt auf sie und erklärt: »Als diese vier Kinder an meine Schule
kamen, hielt man sie nicht nur für taub, sondern auch für stumm. Was? Jawohl, stumm: zweifach behindert. Doch ach, wie falsch war diese Diagnose! Hält man Sie, werter Herr, etwa für stumm, nur weil es Ihnen an der Fertigkeit mangelt, sich auf Mandarin unterhalten zu können? Oder Sie, Madam, weil Sie kein Estnisch sprechen und darüber hinaus nicht einmal wissen, dass es Quechua gibt, die Sprache entlegener, in den Andenkordilleren lebender Inkavölker?«
Er nimmt zwei Elternkandidaten in den Blick, die daraufhin eine etwas erschrockene Miene ziehen und den Kopf schütteln.
»Natürlich nicht! Kein mit Lunge, Kehle und Mund geborener Mensch ist unfähig, diese oder irgendeine andere Sprache zu erlernen! Doch wie wollten wir eine Sprache sprechen, der wir nie ausgesetzt waren, die wir nie erprobt, nie versucht haben? Genauso verhält es sich mit unserer Muttersprache und tauben Kindern. Sprache ist uns nicht angeboren, sie muss errungen, erkämpft werden. Der Leibesmotor gehört in Gang gebracht, die Maschinenteile müssen richtig angeordnet und exakt aufeinander abgestimmt sein. Miss Hubbard.«
Errötend beugt Miss Hubbard sich zu ihrer Kiste hinab, holt einige kurze Bleirohre heraus und beginnt, sie im Zimmer zu verteilen.
»Meine Herren und Damen«, weist Karrefax die Eltern an, »pressen Sie die Lippen fest zusammen und blasen Sie Luft hindurch.«
Die Eltern schauen einander an.
»Machen Sie schon!«, befiehlt Karrefax. »Pressen Sie die Lippen zusammen, so – hmmmmm –, und jetzt pusten Sie!«
Halb hebt er vor ihnen wieder die Hände, während die Eltern nach und nach die Lippen spitzen, tief Luft holen und sie dann wieder aus sich herauspressen wie kleine Kinder, die am Tisch Furzlaute zu machen suchen. Geräusche breiten sich
im Zimmer aus, und die Gesichter der Eltern werden rot vor Anstrengung oder Verlegenheit, vielleicht auch vor beidem.
»Ein keineswegs angenehmes Geräusch, wie Sie mir gewiss alle bestätigen werden«, erklärt Karrefax über das tonlose Gebrumm hinweg. »Eine Fliege, gefangen im Glas, klingt auch nicht besser. Und nun nehmen wir das Rohr, das Sie mittlerweile alle in der Hand halten, und brummen erneut, pressen das Rohr dabei aber fest an die Lippen. Nun los!«
Die Eltern gehorchen. Als sie das Rohr an den Mund drücken, wird aus dem tonlosen Brummen ein klarer, heller Trompetenton.
»Wunderbar!«, poltert Karrefax. »Jetzt pressen Sie Ihre Lippen noch stärker zusammen.« Die Eltern tun wie geheißen, und es erklingt ein höherer Ton. »Prächtig! Nun lockern Sie, Sir, und Sie, Madam, die Lippen ein wenig, während die übrigen sie weiter fest zusammenpressen.« Die Eltern befolgen seine Anweisungen, und der hohe Ton wird nun von einem tiefen ergänzt. »Ausgezeichnet«, dröhnt Karrefax. »Wir haben hier ja ein richtiges Bläserensemble, nicht mehr und nicht weniger! Was für Symphonien wir komponieren könnten! Miss Hubbard!«
Miss Hubbard geht durchs Klassenzimmer und sammelt die Instrumente wieder ein.
»Würden wir eine der besten Opernsängerinnen aufsuchen«, fährt Karrefax fort, »uns hinter dem Vorhang oder in der Kulisse des Opernhauses verstecken und während einer ihrer schönsten Arien mit einem Schwert in
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