K
Laub hervordringt: »Nicht auf den Draht pissen!«
»Was für einen Draht?«, fragt er. »Und wer redet da?«
Der Waldgeist taucht auf: ein kleiner schlanker Mann mit schmalen Händen.
»Direkt unter der Erde«, sagt er, ehe er, nicht minder mysteriös, hinzusetzt: »Gibt Interferenzen mit den Mikros. Wer sind Sie?«
»Beobachter bei der 104. Fliegerstaffel«, erwidert Serge. »Wir haben nur angehalten, um Draht zu liefern.«
»Die Drähte sind schon verlegt«, sagt der Schmalfingrige und zeigt auf den Boden. »Sechs insgesamt, von den Mikros bis hierher.«
»Mikrophone im Wald?«
»Jepp: sechs Mikros, eines für jeden Draht. Sie stecken einen halben Kilometer von hier in leeren, im Halbkreis angeordneten Fässern.«
»Und sind mit Klavierdraht verbunden?«, fragt Serge.
»Sie haben Klavierdraht gebracht? Warum haben Sie das nicht gleich gesagt? Wo ist er?«
»Wird in eine der Hütten getragen«, erklärt ihm Serge.
Der Mann hastet zurück zu den Hütten. Serge folgt ihm. In der Haupthütte entdeckt er eine riesige, quadratische Harfe, deren sechs Saiten über den hölzernen Rahmen hinaus mit dünneren Drähten verlängert wurden, die sich quer durch die Hütte spannen, ehe sie deren Grenzen auch noch hinter sich lassen und durch kleine, in die Ostwand gebohrte Mauselöcher verschwinden. Wie eine Verhörlampe steht direkt vor der Harfe ein mächtiger Scheinwerfer, der sie anstrahlt; dahinter, in einer Flucht mit jedem Draht, fangen eine Reihe Prismen das Licht im rechten Winkel auf und leiten es durch ein weiteres in die Hüttenwand gebrochenes Loch nach nebenan in einen lichtlosen Raum. Aus diesem Nebenzimmer dringt ein Geräusch, ein Laut wie von einem kleinen Propeller bei abgewürgtem Flugzeugmotor, der sich allein durch den Winddruck dreht.
»Was ist das hier?«, fragt Serge.
»Sie sind Beobachter, richtig?«, fragt der Schmale.
Serge nickt.
»Na ja, dann wissen Sie ja, dass Sie bei Erkundungsflügen jedes Mal ein K.-K.-Signal senden, wenn Sie ein feindliches Geschütz aufblitzen sehen?«
»Klar«, erwidert Serge. »Ich habe mich immer schon gefragt, warum wir das tun …«
»Ihre Frage kann beantwortet werden«, sagt der Mann mit einem elfischen Lächeln. »Wenn der Funker am Empfangsgerät eines dieser Signale erhält, drückt er auf einen Relaisknopf, woraufhin eine Kamera im Nebenzimmer zu filmen beginnt; und diese Kamera nimmt den Klang der Batterie auf, deren Mündungsfeuer Sie uns gerade per K.- K. signalisiert haben. Können Sie mir folgen?«
»Nein«, antwortet Serge. »Wie denn das?«
»Jeder Geschützdonner, der von einem Mikro aufgenommen wird, schickt einen Stromstoß durch die Kabel, auf die Sie gerade gepinkelt haben«, fährt der Mann fort, »und der Stromstoß erhitzt das Klavierkabel in diesem Raum und versetzt es in leichte Schwingungen, die durch die Prismen ins Nebenzimmer gespiegelt und direkt von der Kamera aufgenommen werden.«
»Also filmen Sie Ton?«, fragt Serge.
»Ich denke, das könnte man so sagen, ja«, stimmt der Mann zu.
»Und was soll das alles?«
»Hier, folgen Sie mir.«
Er führt Serge aus dieser Hütte in die nächste. Davor bleibt er kurz stehen, klopft an, und erst als eine Stimme »Herein!« ruft, öffnet er die Tür kaum einen Spaltbreit und schlüpft mit Serge hinein. Das Innere ist in rotes Licht getaucht. An einer gegen die hintere Wand gerückten Wanne tunkt ein Mann mit aufgerollten Hemdsärmeln meterweise Film in ein Entwicklerbad, um ihn dann ins Fixierbecken weiterzuleiten. Taucht der Film schließlich daraus auf, hält er ihn in die Höhe, betrachtet ihn aufmerksam und reißt Stücke ab, die er mit Wäscheklammern an ein kurzes Stück Wäscheleine hängt, von der sie auf die weggeworfenen Streifen am Boden herabtropfen.
»Igitt«, flüstert Serge mit verhaltenem Atem.
»Wie?«, fragt der Schmale.
»Nichts.«
»Sehen Sie«, sagt der Funker, löst einen Streifen entwickelten Film von der Leine und zeigt auf die dunklen Linien, die längs über das ganze Bild laufen. Die Linien – sechs an der Zahl – sind meist flach und brechen nur manchmal aus, steigen und fallen dann einen halben Zentimeter weit in ungleichmäßigen Wellen wie seltsame persische Schriftzeichen, ehe sie sich wieder beruhigen und flach weiterziehen. Am unteren Filmrand steht neben den Lochmarkierungen ein Zeitmaß, etwa zweieinhalb Zentimeter pro Sekunde. Die ungleichmäßigen Wellen bilden sich an verschiedenen Stellen entlang der Linie: gestaffelt, doch jede
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