K
Welle exakt in derselben Form wie die auf der Linie darunter, nur taucht die obere Welle knapp einen Zentimeter (oder eine Dreizehntelsekunde) später auf.
»Also«, fährt der Funker fort, »diese Ausschläge werden durch die Geräusche hervorgerufen, die jedes Mikro aufnimmt; und der Film zeigt sie in Intervallen, die der Entfernung des Mikros zur Geräuschquelle entsprechen. Sehen Sie?«
»Ja«, antwortet Serge. »Aber ich verstehe immer noch nicht …«
»Können wir die hier schon mitnehmen?«, fragt der Funker den Entwickler.
Der andere Mann nickt; mit seinen Klavierspielerfingern löst der Funker auch den Rest der trocknen Streifen von der Leine und führt Serge dann zu einer weiteren Hütte. Hier hängt eine große Karte an der Wand, in der in einem ordentlichen Halbkreis sechs Nadeln stecken. Zwei Männer sehen einen Stapel abgerissener, linienüberzogener Filmstreifen durch, messen den Abstand zwischen den Ausschlägen mit einem Stück Schnur, rücken mit der Schnur langsam zur
Karte hinüber, achten sorgsam darauf, das gemessene Intervall beizubehalten, und übertragen es dann behutsam auf die Karte, indem sie ein Ende der Schnur an der Nadel befestigen, einen Stift ans andere Ende halten, die straffe Schnur schwingen und so einen weiten Halbkreis auf die Karte zeichnen.
»Jede Nadel entspricht einem Mikrophon«, erklärt der schlanke Mann. »Und wo sich die Halbkreise schneiden, ist das Geschütz.«
»Dann messen die Schnüre Zeit? Oder Raum?«, fragt Serge.
»Beides, könnte man sagen«, erwidert der Mann mit einem Lächeln. »Filmstreifen kennen da keinen Unterschied. Die mathematische Antwort auf Ihre Frage lautet allerdings, dass die Schnüre der Asymptote jener Hyperbel entsprechen, auf der sich die Geschütze befinden.«
»Aber es gibt viele Geschütze«, wirft Serge ein.
»Und viele verschiedene Ausschläge auf dem Film«, antwortet der Mann. »An der Form und Stärke kann man ablesen, welche primär, sekundär oder tertiär sind. Man trägt einfach alle Schnittpunkte ein, und irgendwann zeigt die Karte ein genaues Bild der Lage. Natürlich ändert die sich alle paar Tage: Sobald ihr Jungs eine Batterie ausradiert, taucht irgendwo anders eine neue auf, die wir dann lokalisieren müssen …«
Draußen springt der Motor des Crossley an. Als Serge zum Laster geht, ist ihm nur allzu bewusst, dass seine Schritte auf dem Boden Geräusche erzeugen, und so geht er auf Zehenspitzen, um keine Interferenzen mit den Drähten zu verursachen, obwohl der Lärm des Lasters doch viel lauter ist. Auf der Rückfahrt, als der Wald hinter ihnen liegt und sie wieder auf der Straße sind, döst er vor sich hin. In seiner Vorstellung – gefangen in einem Netz aus Schnüren und Halbkreisen über einer von gespiegelten Blitzen erhellten Dunkelheit – scheint ihm der Geschützdonner ebenso von unten wie von
oben zu kommen. Er sieht ihn entlang wurmähnlicher Saiten durchs Erdreich vibrieren, dann wie Methan entweichen. Und während der Lärm an ihm vorbeischwebt, bringen seine Schwingungen das Metall des Lasters wieder und wieder dazu, »Allerschütterer« zu flüstern, ehe sie sich weiter verbreiten, hoch hinauf bis an einen Ort, wo ein gespitztes Ohr über einem Kampfgebiet lauscht, das zu einem riesigen Klangfeld wurde. Und ehe Serge gänzlich das Bewusstsein verliert, sieht er Dr. Filips schmale Fadenaugen über metallgrauen Barthaaren glühen – und hört, in kaum vernehmbarem Ton und von einer Stelle, die noch so viele sich schneidende Halbkreise nicht ermitteln könnten, wie ihm eine weder ganz deutsch noch ganz englisch sprechende Stimme leise die schwirrenden Instrumente beschreibt, die ihm in den Ohren klingen.
III
Wenn Serge und Gibbs zur Artilleriepatrouille eingeteilt werden, fliegen sie tiefer auf deutsches Feindgebiet als die meisten A.-B.-Maschinen und schicken Franzsignale, keine Stoppuhrmessungen zurück. Die Ziffernfolge ist länger, ein Strang von Punkten und Pausen, von Zahlen und Buchstaben in Zweierkombinationen: BY.NF.B30 C 8690; BY.COL.FAN NW B30C8690 … Am Ende dieser Flüge schmerzen Serge die Finger. Tippt er keine Signale, photographiert er mit einer am unteren Flügel angebrachten Kamera. Sie müssen ein vorbestimmtes Streckenmuster fliegen und eine stabile Flughöhe halten, damit die Bildfolge erhalten und der Maßstab vergleichbar bleibt. Außerdem stehen sie in regelmäßigem Kontakt mit den etwa drei Kilometer hinter dem Flugplatz in einem ehemaligen Schlachthaus
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