K
selbst ein Spiegel. Brandspuren und Kraterränder auf der Erde sehen so puderig aus, als ob er, brausten sie nur flach genug darüber hinweg, sie auch einatmen, die ganze Landschaft in seinen Kopf schniefen könnte. Die drei Stunden vergehen in Minuten. Als sie auf dem Rückweg die Gräben im Tiefflug beharken, spürt er, wie ihm das Blut in den Unterleib schießt. Er reißt den Gürtel auf, springt auf und hat kaum Zeit, sich die Hose herunterzuziehen, ehe der Same aus ihm herausspritzt, im Bogen über das Heck der Maschine fliegt und in einem dünnen Faden herab zur aufgeschlitzten Erde fällt.
»Die Sorgen k-k-k-kund den Meeren! «, stottert er. »Der Vogel des Himmels!«
Von diesem Tag an entwickelt er ein lebhaftes Interesse für die Inhalte des zwischen Antennenhaspel und zweitem Instrumentenbrett eingelassenen Medizinkastens der RE8. Er
experimentiert mit Benzoesäure, Amylnitrat, Äther und Bromid, ehe er es mit Diacetylmorphin probiert. Und jedes Mal, wenn er sich diese in Spritzenphiolen aufbewahrte Flüssigkeit ins Fleisch drückt, überschwemmt sie ihn mit einer Euphorie, einer trüben, erdigen, sich in Wellen vom Bauch ausbreitenden Wärme. Alles wird dann langsamer und scheint zu schweben: Träge steigen die Leuchtspurgeschosse wie Bläschen in einem Glas zu ihm auf; Artilleriewölkchen umflattern seinen Kopf wie Partyfähnchen. Er mag es, wenn die Kugeln dicht an ihm vorbeisausen, ganz dicht, sodass sie fast die Maschine streifen. Wenn das passiert, fühlt er sich wie ein Matador, der nur knapp den Hörnern des Stiers entgeht, zwei zuvor antagonistische Objekte, zusammengebracht durch ein Arrangement aus Kraft und derart perfekt austarierter Balance, dass sie der Zeit enthoben und aufgenommen werden von einem Pantheon der Unsterblichen, um deren Wände zu zieren. Selbst der Himmel bekommt etwas Zeitloses: Die sich kreuzenden Linien alter Geschossbahnen und Abgasstreifen bilden ein Muster, das alle vergangenen Manöver verzeichnet, weshalb in ihm die Geschichte selbst aufgehoben scheint. Mündungsfeuer färbt die Linien grün, säumt sie mit Gelb, bespritzt sie mit leuchtendem Rot. Die Farben wirken so synthetisch, als wären sie aus Flaschen angerührt und aufgeklatscht wie Carlisles Öl-, Aquarell und Acrylfarben; Serge ist, als könnte er, hätte er nur ein Glas Terpentin oder Kampfer und einen Schwamm, den ganzen Himmel sauber wischen.
Er spürt, wie seine Aufmerksamkeit in dieser Verfassung von deutschen Drachenballonen gefesselt wird. Er kann sie endlos lang betrachten und bestimmt die Position nicht nach den Quadranten seiner Karte, sondern nach diesen eigenartig lang gezogenen Objekten, die immer wieder in sein Blickfeld rotieren. Anders als englische Ballone sind sie dunkel gehalten in der fauligen Farbe verrottenden Fleisches. Obwohl sie wie
eine Wurst geformt sind, lässt Serge ihr Aufsteigen, Sinken und letztlich das Luftablassen an Lungen denken – an kranke Lungen, etwa die von Katarrhen geplagten Lungen der Erdhöhlenbewohner, deren Mündungsfeuer sie markieren. Sieht er am Boden einen Ballon, in den Luft gepumpt wird, muss er unwillkürlich an Zecken denken, die sich mit Blut vollsaugen. Er feuert auf fliegende Ballone in Reichweite, doch weder aus Hass noch aus Pflichtgefühl, sondern nur, um zu sehen, was passiert, wenn seine Kugel auf ihre Oberfläche trifft, etwa so wie ein Kind, das ein Insekt anstupst. Winden sich Flammententakel aus dem Innern und wandern nach oben, um den Ballon dann plötzlich erblühen zu lassen, sieht er den Männern in den Körben zu, wie sie ihren Fallschirm über die Seite werfen und springen. Oft bleiben sie stecken, verfangen sich im Geflecht und in den Seilen. Sieht er sie zappeln, weil das Feuer am Zwirn entlang auf sie zukriecht, denkt er an Fliegen in einem Spinnennetz; und wenn sie geröstet werden, sehen sie wie tote Fliegen aus, rundlich und schwarz.
Er fängt an, auch die Batterien, auf die er schießt, als Insekten zu betrachten, Zecken, die sich in die Haut der Erde eingegraben und dort festgesetzt haben: Seine Aufgabe ist es, sie herauszureißen. Die an der Wand des Schlachthauses befestigten Photos werden für ihn zu dermatologischen Objektträgern.
»Ich schätze, die da wird unseren Jungs keinen Ärger mehr bereiten«, erklärt Pietersen triumphierend und tippt dabei auf eine wie mit Pockennarben übersäte Stelle auf dem Mosaik. »Der ganze Sektor ist jetzt tot.«
»Tot?«, fragt Serge.
»Ja«, erwidert Pietersen. »Sie haben sie
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