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Titel: K Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T McCarthy
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den Achseln. »Sie waren zuerst hier.«
    Nachdem sie eingeschlafen ist, liest er eine Weile, dann legt er das Buch beiseite und sieht den Mücken zu, die über dem Fußende des Bettes schweben. Sie fliegen in gerader Linie aufeinander zu, trennen sich und gleiten dann exakt zu der Stelle, auf der Sekunden zuvor noch eine andere Mücke gesessen hat, ehe sie dieselbe Prozedur wiederholen…
    Auch vor Batterie M gibt es Insekten mit einem Verhaltensmuster – nur bewegen die sich nicht. Das Korpshauptquartier hat eine Direktive erlassen, der zufolge Beobachter wenigstens eine der Batterien aufsuchen sollen, mit der sie zusammenarbeiten, um so das Verständnis zwischen den luft- und bodenbasierten Seiten der Artillerieoperationen zu fördern. Serge wird von Walpond-Skinner zur M geschickt und stößt auf eine kraterübersäte Mondlandschaft. Wie der Mast einer interplanetaren Marconi-Station steigt daraus ein fünfzehn Meter hoher, von vier Spannseilen gehaltener Mast auf. Der Tiefenerder aus Kupfergaze liegt über einer Jutelage, auf der abertausend tote Motten, Bienen, Schmetterlinge und Libellen kleben; ihre Leichen häufen sich auf dem Sackleinen zu Knäueln, Strudeln und Wirbeln.

    »Giftgas«, erklärt der Funker, als er Serges Blick bemerkt. »Die Jute hält es ab – jedenfalls so gut, dass es uns nicht tötet, aber nicht gut genug, um uns nicht allen einen Katarrh zu verpassen.«
    »Wo steht der Empfänger?«, fragt Serge.
    »Hier unten«, antwortet der Mann und hebt die Sackleinen an, damit Serge sich drunter durchducken und eine Art Erdhöhle betreten kann.
    »Ihr empfangt meine Signale unter der Erde?«
    »Ihr hättet da oben bald kein Publikum mehr, wenn wir über der Erde blieben«, erklärt der Mann. »Die deutschen Drachenballone fangen unsere Signale auf, sobald wir sie abfeuern, und richten dann ihre Kanonen auf uns aus. Wir haben das hier.«
    An eine der Erdwände gelehnt, steht auf einem Holztisch ein kleiner Mark-4-Empfänger.
    »Pelican Quarz?«, fragt Serge.
    »Zwei«, lautet die Antwort. »Außerdem auch zwei Wählscheiben: Antennenkondensator und Signal; die erste müssen wir ständig justieren; und wenn wir euch dann empfangen, müssen wir auf volle Lautstärke drehen, bis uns die Ohren bluten.«
    Serge wirft einen Blick auf die Ohren des Mannes. Er hat nicht übertrieben: Getrocknetes Blut klebt an den Ohrmuscheln, am Hals sind rote Rinnsale zu sehen.
    »Tut mir leid«, murmelt Serge.
    »Ist ja nicht Ihre Schuld. Wir würden ja sonst nichts hören.«
    »Ach, sehen Sie nur«, sagt Serge, »das Giftgas hat nicht alle Insekten umgebracht.«
    An der Wand hinter dem Empfänger krabbeln Läuse, ebenso auf dem Empfänger selbst, auf dem Tisch, dem Stuhl, dem Boden.

    »Der Fluch der Gräben«, meint der Funker achselzuckend. »Trotzdem würde ich um nichts auf der Welt mit euch da oben tauschen wollen. Muss Erde unter den Füßen spüren. Heutzutage sogar überm Kopf. Werd schrecklich nervös, wenn ich zu lange im Freien bin – auch weg von der Front, auf Heimaturlaub oder sonst wo: Als könnte was kommen und auf mir landen …«
    Seine Erklärung endet mit einem Hustenanfall. Serges Blick wandert durch die Höhle. Korridore zweigen vom Hauptraum ab und führen vermutlich in weitere Höhlen, von denen wiederum Korridore abgehen. In dieser Kammer steht ein Bett; unter dem Bett liegen zwei Dosen mit Schweinefleisch und eine zerfledderte Ausgabe von A. E. Housman.
    »Sie auch?«, fragt Serge.
    »Beruhigt mich«, erzählt der Funker. »Wenn auf uns gefeuert wird, oder wir feuern, oder beides, dann denke ich an Hecken in Shropshire …«
    Genau das wurde ihm auch von den Männern der 104. erzählt, die mindestens zwei Exemplare haben, eines in der Kantine, eines auf dem Hausboot. Selbst auf der Überfahrt von Folkestone hat er einen Soldaten Housman lesen sehen. Offenbar denkt die halbe Front an Hecken in Shropshire. Serge versteht das nicht und muss eines Tages seine Ansichten erst gegen einen, dann gegen zwei und schließlich gegen drei Offiziere verteidigen.
    »Housman ist tiefsinnig«, beharrt Watson empört. »Er sieht einen Kirschbaum und vor seinem inneren Auge zugleich die Zeit vergehen.« Er reckt den Rücken und senkt die Stimme, um feierlich zu rezitieren:
    Fünf Dutzend Jahre und noch zehn:
Zurück lässt sich die Zeit nicht drehn.
Und zwanzig werd ich nimmermehr;
Das ist schon fünfzig Jahre her.

    »Siebzig minus zwanzig ergibt fünfzig«, sagt Serge. »Wie tiefsinnig.«
    »Du hast keinen

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