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Titel: K Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T McCarthy
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untergebrachten Kameraleuten.

    »Ich glaube, die Feuerstellung da ist eine Attrappe«, meint Leutnant Pietersen, während er Serge das Monokular reicht. »Die Fahrspuren zu dem Wäldchen sind so deutlich, dass man sie noch aus zehntausend Fuß Höhe sehen kann. Ebenso gut hätten sie einen Pfeil auf den Boden malen können…«
    »Mündungsfeuer sehe ich da unten oft genug«, erwidert Serge, »aber irgendwie kommt es mir falsch vor. Als hätten die Abschüsse nicht den richtigen Effet …«
    »Bühneneffekte«, spottet Pietersen. »Qualm und Spiegel.«
    Er heftet die Aufnahme an ein Brett, schräg, und hält ein zweites, zur anderen Seite gekipptes Photo über die untere Ecke. Acht, neun Bilder ergeben zusammen das Mosaik einer Landschaft, über die gerade, kurvige, gepunktete Linien ziehen und wirbeln und Muster wie auf Schmetterlingsflügeln bilden.
    »Also, diese Stelle hier hat sich seit gestern verändert«, sagt Pietersen und ersetzt ein Puzzlestück des Mosaiks durch ein neues Bild, auf dem ein Kreis dunkler, konzentrischer Ringe von einer baumbedeckten Stelle ausgeht. »Aber ich bin mir nicht sicher, ob wir die dicke Berta wirklich schon erwischt haben. Wenn Sie morgen drüberfliegen, sollten Sie herausfinden, ob die Brandspuren genau auf dem Durchmesser dieser Kreise oder außerhalb liegen.«
    »Ich mach eine Aufnahme von dem Gebiet, aber ich habe keine Ahnung, ob ich bei all dem Rauch mit bloßem Auge überhaupt was sehen kann«, antwortet Serge.
    »Versuchen Sie mal, sich Kokain in die Augen zu reiben«, rät ihm Pietersen.
    »Kokain?«, fragt Serge. »Ich dachte, das ist für die Zähne.«
    »Stimmt, aber auch für den Blick bewirkt es Wunder, schärft ihn ohne Ende. Lassen Sie sich was vom Feldlazarett in Mirabel geben.«
    Serge tut wie geheißen. Man gibt ihm ein kleines Schminkdöschen mit weißem Pulver, das er sich am nächsten Tag kurz
vor dem Abheben auf die Pupillen reibt. Die Wirkung macht sich bemerkbar, als sie den eigenen Drachenballon passieren, der Serge plötzlich scharf und wachsam anstrahlt, ein großer weißer Augapfel. Einige Sekunden später heben sich die Bahnen der Leuchtspurgeschosse deutlicher am Himmel ab, kommen ihm Tempo und Fallwinkel der Geschosse kühn und beharrlich vor. Das Geflecht der Gräben, die farbigen Mündungsflammen der Kanonen und das allgemeine Geschützfeuer, die fernen Straßen und Bahngleise, die markanten Bodenstellen: All das sieht er klarer – aber auch die Artilleriewölkchen, die Qualmspuren und Korditrauchwolken, die echten Wolken und das tiefe Blau des Himmels sowieso.
    »Hat es geklappt?«, fragt ihn Pietersen, als er das nächste Mal ins Schlachthaus kommt.
    »Bin mir nicht sicher«, antwortet er.
    »Man kann die Wirkung steigern, wenn man es schnieft«, erklärt Pietersen.
    »Was denn, wie Schnupftabak?«
    »Man schüttet ein bisschen was davon auf einen Tisch oder einen Spiegel«, sagt Petersen, »schiebt es dann zu einer Linie zusammen und schnieft es durch einen aufgerollten Geldschein. Ich fürchte, die Brandspuren liegen nicht auf dem Durchmesser.«
    »Wie?«
    Pietersen tappt mit einem Finger auf das Mosaik am Brett. Es zeigt dasselbe Territorium wie gestern, nur sind die meisten markanten Stellen verändert; sie haben neue Umrisse, Detonationsfurchen, sind mit Kratern übersät oder in manchen Fällen einfach verschwunden. Während Serge in Gedanken die alten Aufnahmen mit den neuen vergleicht, durchzuckt ihn die Vorstellung, dass die Landschaft sich irgendwie bewegt, fast, als wäre sie lebendig.
    »Wie ein Katzenbein«, sagt er.

    »Wie? Welcher Abschnitt?«
    »Das Ganze.«
    Pietersen tritt einen Schritt zurück und blickt mit angewinkeltem Kopf auf das lang gezogene, von zusammengesetzten Photos wiedergegebene Stück Land. Nach einer Weile nickt er und murmelt: »Ich glaub, die Form hat es tatsächlich, jedenfalls ein bisschen.«
    Am nächsten Tag tippt Serge eine kleine Menge Kokain auf seinen Rasierspiegel, schiebt es zu einer Linie zusammen, rollt einen Zwanzig-Franc-Schein auf und saugt sich das Pulver in den Schädel. Es brennt hinter den Augen, betäubt dann den oberen Teil seines Gesichts. Als Gibbs abhebt, spürt Serge einen Klumpen Speichel in der Kehle. Er schluckt; seine Spucke schmeckt bitter, chemisch. Die Bahnen der Leuchtspurgeschosse sind diesmal kraftvoll, elektrisch: Es ist, als wären Drähte durch die Luft gespannt. Weiter oben ziehen die Kondensstreifen der SE5 gerade weiße Linien über das Blau, als wäre der Himmel

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