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Titel: K Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T McCarthy
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gibt man Fallschirme mit, nur wir, die zehnmal höher fliegen und keine Schnur haben, an der man uns zurückziehen kann, wir kriegen nichts.«

    »Er glaubt, sie machen die Maschinen langsamer«, sagt Serge, »und dass wir beim erstbesten Problem abspringen, statt zu landen. Außerdem ist Seide knapp …«
    »Seide ist knapp?« Gibbs prustet in seinen Drink. »Die Fallschirme der Deutschen sind aus britischer Seide! Wir haben genug, um sie denen zu verkaufen, aber nicht genug für die eigenen Leute?«
    Serge gibt keine Antwort, sieht in Gedanken aber Stapel frischer Crêpe-, Jacquard- und Moiré-Seide zu großen Quallen vernäht von Frauen, die sich, zumindest in der Szenerie, die sein Hirn gerade heraufbeschwört, unter einer chinesisch-deutschen Mischflagge mit Löwen und Schafen tummeln, während im Hintergrund Generäle lächeln und flüstern. Irgendwo in diesem Bild ist auch seine Mutter, wie sie mit einem Käufer verhandelt, der, das Gesicht von dünnem Seidentuch bedeckt, lauthals in einem Akzent so seltsam wie ihr eigener redet und Worte spricht, die Serge nicht versteht.
    »Ich träume jede Nacht davon, wie ein Feuerball abzustürzen«, murmelt Clegg. »Es ist immer das Gleiche: Das Bett steht in Flammen. Am Fußende fängt es an und breitet sich aus. Ich versuche, das Ding nach hinten zu kippen, im Gleitflug zu fliegen und dann über die Flügel abzuschmieren, aber es klappt nie.«
    »Du könntest das Feuer löschen, indem du dir in die Hose pinkelst«, klärt ihn Serge auf.
    Wieder kugeln sich die Männer, nur klingt ihr Lachen diesmal hohl. Sie haben alle Angst davor, Karbo-nie-zee zu werden, Flammenopfer. Längst sind Kerzen von allen Hausbooten verbannt, damit die hölzernen Planken nicht aus Versehen in Brand geraten und der »orangerote Tod«, der ihnen am Himmel auflauert, seine Opfer auf der Erde findet; in der Kantine wurden die Paraffinlampen durch Glühbirnen ersetzt, und selbst wenn sich die Männer Zigaretten anzünden, läuft ihnen ein
Schauder über den Rücken, sodass sie ihre Feuerzeuge mit ärgerlicher Wucht zuschnappen lassen. Unter allen Piloten und Beobachtern ist Serge der Einzige, dem der Gedanke an ein feuriges Ende in der Luft nichts ausmacht. Dabei kennt er die Gefahr, nur kümmert sie ihn nicht. Ihm gefällt der Gedanke, sein Fleisch könnte schmelzen und sich mit Maschinenteilen verlöten. Wenn die Piloten ihr Lied über Zylinderblöcke singen, die man ihnen aus den Nieren zieht, stellt er sich den Vorgang umgekehrt vor: Hirn und Pleuelstange vereinen sich, um ein ultraintelligentes Organ zu bilden; der Rücken vibriert vor Vergnügen, wenn Pumpen und Kolben in ihn eindringen, wenn Herz und Leber von Ventil und Filter gespalten werden, damit ein neuer, stromlinienförmiger Mechanismus erschaffen wird. Manchmal träumt er, ihm wüchsen Flügel, und er tastet beim Aufwachen das Brustbein nach Schwellungen ab; die Rippen sind ihm Holme und Streben. Nach einem Flug zittert er wie alle Piloten, aber das macht ihm nichts aus: Die Vibrationen geben ihm das Gefühl, lebendig zu sein. Er summt vor kinetischer Energie, wenn er nach Vitriers fährt, zu Cécile, wo seine Vibrationen das Bettgestell samt Messingknäufen erzittern lassen, auf dass sie sich auch in ihr Fleisch bohren…
    Céciles Zimmer ist ungeheizt. Ab Oktober werden die Nächte dort kalt. Er bringt ihr die warme Jacke eines toten Beobachters mit.
    »Wieso kam seine Jacke zurück, wenn er doch getötet wurde?«, fragt sie und streift sie sich über nackte Haut.
    »Na ja, er kam schon zurück«, antwortet Serge. »Nur nicht lebend. Hier, siehst du die Einschusslöcher?«
    Ihr Blick folgt ihrer Nase, während sie sich mit einer Hand das Leder an den Bauch presst.
    »Links«, hilft er ihr.
    »Ach, da«, schnurrt sie und steckt einen Finger in ein Loch. »Direkt dans la poitrine .«

    Während sie sich wieder lieben, behält sie die Jacke an. Serge kniet hinter ihr, das Gesicht in den Pelzkragen gepresst, und stellt sich vor, wie die Kugel das Jackenleder durchschlägt und weiter durch den Beobachter und durch Cécile dringt, um sich dann, in Millionen Teile zerlegt, nicht nur harmlos, sondern wohltuend in ihm selbst festzusetzen, ganz als wäre er sowohl ihr endgültiges Ziel wie auch das der beiden anderen, der natürliche Abschluss eines Prozesses, dessen Flugbahn sie miteinander verband. Später hebt er einen ihrer Strümpfe vom Boden auf, hält ihn sich vors Gesicht und dehnt das Gewebe.
    »Was machst du da?«, fragt

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