Kabelsalat: Wie ich einem kaputten Kabel folgte und das Innere des Internets entdeckte (German Edition)
Doktoranden draußen feierten, kramte ihr Professor an diesem Samstagnachmittag immer noch in seinen Papieren, allein in dem großen Büro, das er vor kurzem in einem Anfall von Expansionsdrang vergrößert hatte. Dieses Bild kann ich mir lebhaft vorstellen, denn als ich 41 Jahre später sein Büro betrat, saß Leonard Kleinrock noch immer an seinem Schreibtisch, ein rüstiger Fünfundsiebzigjähriger mit gestärktem rosafarbenem Hemd, schwarzer Hose und am glänzenden Ledergürtel befestigtem Blackberry. Er hatte ein braun gebranntes Gesicht und volles Haar. Auf seinem Schreibtisch stand aufgeklappt ein nagelneuer Laptop. »Er findet kein Netz!«, rief Kleinrock in die Freisprechanlage.
Am anderen Ende antwortete langsam und geduldig die Geisterstimme eines Menschen vom technischen Support. Klicken Sie hier drauf. Klicken Sie da drauf. Geben Sie Folgendes ein. Kleinrock schaute mich über den Rand seiner Lesebrille an und bedeutete mir, ich solle mich schon mal setzen. Dann klickte er. Und klickte nochmals.
Versuchen Sie es jetzt noch mal , sagte die Stimme.
Er verzog das Gesicht. »Er sagt, dass ich keine Verbindung zum Internet habe. Ehrlich, das steht da!« Dann musste er so heftig lachen, dass seine Schultern bebten.
Kleinrock ist der Vater des Internets – oder besser: einer der Väter, denn Erfolg hat bekanntlich viele. 1961, in seiner Zeit als Doktorand am MIT , veröffentlichte er den ersten Aufsatz über »Paketvermittlung«, die Idee, dass man Daten effizient übertragen kann, indem man sie in kleine Bündel aufteilt – eine der Schlüsseltechnologien, auf denen das Internet basiert. Die Idee lag in der Luft. Ohne dass Kleinrock davon wusste, hatte Donald Davies, Professor am britischen National Physical Laboratory , an der Weiterentwicklung ähnlicher Konzepte gearbeitet, ebenso wie Paul Baran von der RAND Corporation in Los Angeles. Baran hatte seine Forschungen 1960 auf Bitten der US -Luftwaffe begonnen und arbeitete gezielt an einem Netzwerk, das einem Atomangriff standhalten könnte. Davies dagegen verfolgte einen rein wissenschaftlichen Ansatz und wollte einfach das englische Kommunikationssystem verbessern. Mitte der sechziger Jahre – Kleinrock war mittlerweile Professor an der UCLA – machten ihre Ideen im kleinen, internationalen Kreis der Informatiker die Runde und wurden auf Tagungen lebhaft diskutiert. Aber noch waren es nur Ideen, noch konnte niemand die Puzzleteile zu einem funktionierenden Netzwerk zusammenfügen. Die eigentliche Herausforderung, vor der diese Netzwerkpioniere standen – und die bis heute ein wesentliches Element der DNA des Internets ist –, war nicht die Konstruktion eines Netzwerks, sondern eines Netzwerks aus Netzwerken. Sie versuchten nicht nur, die Verständigung zwischen zwei oder drei oder auch eintausend Computern zu ermöglichen, sondern zwischen zwei oder drei oder auch eintausend unterschiedlichen Arten von Computern, die zu ganz verschiedenen Netzwerken zusammengeschlossen und weit verstreut waren. Dieses Problem der Metaebene bezeichnete man als »Internetworking«.
Erst als das Verteidigungsministerium sich des Ganzen annahm, kam Bewegung in die Sache. 1967 beauftragte die ARPA den jungen Informatiker Larry Roberts – mit dem Kleinrock am MIT ein Büro geteilt hatte – mit der Entwicklung eines experimentellen, nationalen Computernetzwerks. Im darauffolgenden Juli wandte Roberts sich mit detaillierten Vorgaben an 140 verschiedene Technologieunternehmen und bat sie um Vorschläge für den Aufbau eines » ARPA nets«, wie er es anfangs nannte. Es sollten zunächst vier Universitäten im Westen der US A eingebunden werden: die UCLA , das Stanford Research Institute , die University of Utah und die University of California in Santa Barbara. Der geographische Schwerpunkt war kein Zufall. Die Idee, die Computer von Universitäten zu vernetzen, wurde vielfach als bedrohlich wahrgenommen – schließlich würde jede Hochschule ihre teure und ohnehin überlastete Maschine mit anderen teilen müssen. Die Universitäten an der Ostküste waren tendenziell konservativer, oder jedenfalls weniger offen für die Versuche von Roberts, sie mithilfe seiner Verfügungsgewalt über ARPA -Mittel zu beeinflussen. Kalifornien hatte bereits eine blühende Technikkultur und große Universitäten. Ebenso wichtig für die Entstehung des ARPANET s an der Westküste war allerdings der für diese Region typische Appetit auf neue Ideen.
Die UCLA sollte unter der Leitung von
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