Kabelsalat: Wie ich einem kaputten Kabel folgte und das Innere des Internets entdeckte (German Edition)
Kleinrock zusätzlich das Network Measurement Center beherbergen, das die Leistungsfähigkeit der neuen Schöpfung erforschen sollte. Das hatte neben fachlichen auch persönliche Gründe: Kleinrock war eben nicht nur der führende Experte für Netzwerktheorie, sondern auch ein alter Freund, dem Roberts vertraute. Während es die Aufgabe von Bolt, Beranek & Newman war, das Netzwerk aufzubauen, war Kleinrock dafür zuständig, es kaputt zu machen, um die Grenzen seiner Leistungsfähigkeit zu testen. Deshalb bekam die UCLA auch den ersten IMP , das Zwischenstück zwischen dem großen, von der gesamten Informatikfakultät genutzten Computer, einem Sigma-7, und den Telefonleitungen zu den anderen Universitäten, die AT & T für jenen Tag bereitgestellt und modifiziert hatte, an dem das Netzwerk das Licht der Welt erblicken würde. In seinem ersten Monat in Kalifornien stand der IMP Nummer Eins ganz allein da, wie eine Insel, die auf ihre erste Flaschenpost wartet.
»Wollen Sie ihn sehen?«, fragte Kleinrock, und sprang aufgeregt auf. Er führte mich zu einem kleinen Besprechungsraum gegenüber von seinem Büro, keine fünf Meter von seinem Schreibtisch entfernt. »Hier ist er – eine schöne Maschine! Eine wirklich großartige Maschine!« Der IMP sah – wie alle berühmten Gegenstände – genauso aus, wie ich ihn von Fotos her kannte: ein beigefarbener Stahlkasten von der Größe eine Kühl-Gefrier-Kombination mit Knöpfen daran, wie ein als R2-D2 verkleideter Aktenschrank. Kleinrock machte die Tür auf und zu und drehte an den Knöpfen. »Ein für den militärischen Einsatz gestählter Honeywell DDP -516, damals der neueste Stand der Technik.« Ich sagte, mir sei aufgefallen, dass das Internet einen eigenen Geruch habe, eine seltsame, aber charakteristische Mischung aus extra-leistungsfähigen Klimaanlagen und dem von Kondensatoren freigesetzten Ozon. Wir lehnten uns beide vor und schnüffelten. Der IMP roch wie der Keller meines Großvaters. »Das ist Schimmel«, sagte Kleinrock. »Wir sollten die Tür zumachen, dann zerkocht er.«
Der derzeitige Standort des IMP s, in der Ecke eines kleinen Besprechungszimmers mit ausgeblichenen Postern an den Wänden und Stühlen, die nicht zusammenpassten, war definitiv unter seiner Würde. Aus einer Plastiktüte lugte ein Stapel Pappbecher hervor. »Warum er hier herumsteht?«, fragte Kleinrock. »Warum er nicht irgendwo auf dem Campus in einer hübschen Vitrine präsentiert wird? Der Grund ist, dass kein Mensch diese Maschine für wichtig hielt. Sie hätten sie einfach weggeworfen, wenn ich nicht gewesen wäre. Keiner hat erkannt, wie wertvoll sie ist. Ich sagte: ›Wir müssen dieses Ding behalten, es ist wichtig!‹ Aber in seinem Vaterland gilt ein Philosoph nun mal nichts.«
Derzeit änderte sich das. Ein Doktorand an der geschichtswissenschaftlichen Fakultät der UCLA hatte vor kurzem die historische Bedeutung der Boelter Hall und des IMP s erkannt und begonnen, Archivmaterial zusammenzutragen. Nachdem Kleinrock jahrelang auf die Universitätsverwaltung eingeredet hatte, war es ihm schließlich gelungen, Unterstützung für den Aufbau des Kleinrock Internet History Center s zu bekommen, um den IMP ins rechte Licht zu rücken und seine historische Rolle in Erinnerung zu rufen. 15 »Es war unglaublich – diese Gruppe unheimlich intelligenter Menschen, die zur gleichen Zeit am gleichen Ort waren«, so Kleinrock. »Aber so etwas gibt es immer wieder, in periodischen Abständen, so ein Goldenes Zeitalter.« In der Tat steht den in jenem Herbst in seinem Labor versammelten Wissenschaftlern in der Ruhmeshalle des Internets ein Ehrenplatz zu, allen voran Vint Cerf (heute oberster »Internetguru« bei Google), dem Mitentwickler des wichtigsten Verbindungsprotokolls im Internet – des sogenannten TCP / IP -Protokolls –, Steve Crocker, ebenfalls ein Student Kleinrocks, und Jon Postel, der jahrelang die Internet Assigned Numbers Authority ( IANA ) leitete und einer der wichtigsten Mentoren einer ganzen Generation von Netzwerkingenieuren war.
Das Museum sollte im Raum 3420 eingerichtet werden, wo der IMP ab September 1969 stand, bis er 1982 ausrangiert wurde. Kleinrock führte mich hin. »Der IMP stand an dieser Wand hier«, sagte Kleinrock und klatschte mit der Handfläche gegen die weiße Farbe. »Aber der Raum ist umgebaut worden. Die Decke ist neu, der Boden ist neu – wir hatten einen Doppelboden, wegen der Klimaanlage.« Wir lugten hinter einen Metallschrank, um zu sehen,
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