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Kabelsalat: Wie ich einem kaputten Kabel folgte und das Innere des Internets entdeckte (German Edition)

Kabelsalat: Wie ich einem kaputten Kabel folgte und das Innere des Internets entdeckte (German Edition)

Titel: Kabelsalat: Wie ich einem kaputten Kabel folgte und das Innere des Internets entdeckte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrew Blum
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dass wir Konzerte auf dem Bildschirm eines Smartphones verfolgen. »Aus demselben Grund, weshalb die Leute keine Ahnung haben, wann und wo es erfunden wurde oder wie die erste Nachricht lautete«, sagte er. »Psychologisch und soziologisch ist es hochinteressant, dass niemand neugierig darauf ist. Es ist wie mit Sauerstoff. Kein Mensch fragt sich, wo der Sauerstoff herkommt. Ich glaube, dass den heutigen Studenten eine Menge entgeht, weil sie nichts auseinandernehmen. Dieses Ding hier« – er klopfte auf seinen Laptop – »können sie schlecht in seine Einzelteile zerlegen. Wo bleibt die haptische Erfahrung? Es gibt sie nicht mehr, und das ist schade. Die haben keine Ahnung, wie dieses Ding funktioniert. Als ich als Kind Radios gebastelt habe, wusste ich, womit ich es zu tun hatte. Ich wusste, wie diese Teile funktionierten und warum.« Die Übung, die gerade in Raum 3420 stattfinde, sei eine Ausnahme, die einzige Veranstaltung, in der sich die Informatikstudenten mal die Hände schmutzig machten.
    Ich fragte Kleinrock nach ein paar Erinnerungsstücken, die in seinem Büro herumlagen. Er öffnete eine kleine graue Archivschachtel, die auf einem Aktenschrank stand, und zog das Original-Logbuch heraus, in dem der Moment festgehalten ist, als der IMP der UCLA am späten Abend des 29. Oktober 1969, einem Mittwoch, zum ersten Mal mit dem am Stanford Research Institute ( SRI ) installierten IMP Nummer Zwei Kontakt aufnahm. Das Logbuch hatte die Form eines Blocks, auf das hellbraune Deckblatt hatte jemand mit schlampiger Schrift » IMP LOG « geschrieben. Auf der Homepage von Kleinrock findet man natürlich ein Bild davon. »Das hier ist das wertvollste Dokument über das Internet«, sagte er. »Einige Leute archivieren das jetzt alles, die reißen mir jedes Mal den Kopf ab, wenn ich es anfasse. Von denen habe ich diese Schachtel bekommen.« Er blätterte darin und las einige Einträge vor:
    Anruf vom SR I , Debug-Test versucht, hat aber nicht geklappt.
    Dan hat ein paar Knöpfe gedrückt.
    »Der entscheidende ist der hier – 29. Oktober. Ich sollte die Finger von diesen Unterlagen lassen, aber die Versuchung ist zu groß! Hier ist er.« Dort stand neben dem Zeitcode 22:30, mit blauem Kugelschreiber geschrieben, der zweizeilige Eintrag:
    Von Host zu Host mit dem SRI kommuniziert.
    Es ist der einzige schriftliche Beweis für die erste erfolgreiche Nachrichtenübermittlung über das ARPANET – den ersten Atemzug des Internets. Ich musste mich beherrschen, nicht die Hand danach auszustrecken. »Falls es mal jemand klauen möchte, hier ist es!«, sagte Kleinrock. »Und auch ein Exemplar meiner Doktorarbeit.«
    Dann wurde er nostalgisch. »In der Anfangszeit hatten wir alle keine Ahnung, was daraus werden würde. Ich hatte eine Vision, und vieles davon ist Wirklichkeit geworden. Was mir nicht klar war, das war der soziale Aspekt – dass meine neunundneunzigjährige Mutter heute online wäre, wenn sie noch leben würde. Dieser Teil ist mir entgangen. Ich dachte, es würde darauf hinauslaufen, dass Computer sich mit Computern unterhalten, oder Menschen mit Computern. Aber darum geht es gar nicht. Es geht darum, dass Sie und ich miteinander reden.«
    Ich erinnerte ihn daran, dass wir den Schrank mit dem IMP zugemacht hatten, damit der Geruch »zerkocht«, und wir gingen noch einmal über den Flur, um dem IMP unsere Aufwartung zu machen. Kleinrock öffnete die Schranktür. »Hier«, sagte er. »Ja. Mhmm. Stecken Sie mal Ihre Nase rein.« Ich beugte mich hinab wie zu einer Blume. »Riechen Sie das? Die Komponenten, der Gummi. Mich erinnert das an meine Kindheit, da habe ich alte Radios mit Vakuumröhren ausgeschlachtet und hatte ständig den Geruch von Lötzinn und Kolophonium in der Nase.« Ich dachte an den Elektronikkurs zurück, den ich in der dritten Klasse nach Schulschluss besucht habe. Wir haben LED s gelötet, die in einem bestimmten Muster geblinkt haben. Seither hatte ich das kaum je wieder gerochen, obwohl ich den ganzen Tag mit elektronischen Maschinen verbunden bin.
    »So etwas kann man nicht aufnehmen«, sagte Kleinrock. »Noch nicht. Aber das kommt noch.«
    * * *
    Die Pubertät des Internets zog sich ziemlich lange hin. Zwischen der Geburt des ARPANET s an der UCLA 1969 und Mitte der neunziger Jahre breitete sich das Netz der Netze von Universitäten und Militärbasen allmählich auf Computerfirmen, Anwaltskanzleien und Banken aus, lange bevor es bei uns Normalverbrauchern ankam. Aber in dieser langen Frühphase

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