Kabine 14: Ein Kitzbühel-Thriller (German Edition)
Als er sich bückte, um das Notebook abzustellen, hätte er beinahe laut aufgeschrien. Sein Steißbein schmerzte höllisch. Er war aus der Eingangstür des Hotels gesprintet, am eisigen Gehweg ausgerutscht und mit aller Macht auf sein Hinterteil geknallt.
Sein Handy vibrierte. Benjamin hob ab, ohne auf das Display zu blicken. „Ja!?“, brüllte er.
Eine Sekunde überrumpeltes Schweigen schlug ihm entgegen. „Sebastian hier“, meldete sich eine wohlbekannte Stimme. „Sag mal, wo steckst du? Niemand ist per Funk erreichbar, Franz irgendwo im Ort unterwegs und Georg …“
„Komme gerade ins Büro“, unterbrach ihn Benjamin und stieß die Tür mit dem Fuß auf. „Habe verschlafen.“
„Du und verschlafen?“ Sebastians Verwunderung war unüberhörbar. „Das kann nur an einer Frau liegen. Meine Schwester würde sagen …“
„Was gibt’s?“, fragte Benjamin ungehalten. Er durfte sich nicht ablenken lassen. Schon gar nicht von Gedanken an Natascha.
„Piste zwanzig macht wieder Probleme“, erwiderte Sebastian. „Laut dem zuständigen Pistendienst trotz der gestrigen Präparierung zahlreiche Steine und apere Stellen. Bin gerade auf der Fünfundsechziger beim Bärenbadkogel. Muss nachher aber zum Pengelstein wegen der Koordination der Pistenräumung heute Mittag, falls wir den Betrieb tatsächlich einstellen.“
Diese letzten Worte fanden sachten Widerhall in Benjamins Erinnerung.
Da war doch irgendetwas …
„Könntest du Franz oder Georg benachrichtigen?“, fuhr Sebastian fort. „Die Mobilfunkverbindung ist hier grottenschlecht.“
„Du willst die Zwanziger sperren lassen?“
„Schau auf die Uhr. Wenn es wirklich so schlimm ist, können wir nichts mehr machen.“
„In Ordnung“, sagte Benjamin. „Ich leite es weiter. Aber du weißt: Franz kann bei diesen Dingen ziemlich stur sein.“
„Ein wenig Einsicht würde ihm guttun“, erwiderte Sebastian und beendete das Gespräch.
Benjamins Blick fiel auf einen handgeschriebenen Zettel auf seinem Schreibtisch.
Serverausfall heute Nacht. Behoben um 7:30 Uhr
. Die Nachricht stammte von Maria, der leitenden Technikerin.
Behoben
klang nicht schlecht. Ein Problem weniger, um das er sich kümmern musste. Daneben eine zweite Notiz:
Herr Stingel von der Versicherung kommt am Samstag, neun Uhr, ins Büro. Franz
.
Benjamin fluchte leise und schaltete sein Notebook ein. Er hatte nur noch eine halbe Stunde, bis er die Unterlagen der Sicherheitsüberprüfung abgeben musste. Gestern war er nicht mehr zum Durchsehen gekommen – beziehungsweise hatte er die anstehende Arbeit ignoriert. Ob sich diese Inkonsequenz auszahlen würde? Trotz seiner misslichen Lage lächelte er.
„Definitiv“, sagte Benjamin leise.
Jochberg, Wagstätt-Sesselbahn, Talstation
Samstag, 6. Januar, 08:25 Uhr
„Toll, dass du doch mitgekommen bist“, sagte Rüdiger und drückte Emma einen dicken Schmatz auf die Wange. „Wer weiß, wie lange die Lifte heute in Betrieb sind, und morgen soll es ja schneien.“ Rüdiger trug einen blau-schwarzen Schianzug, der seine gertenschlanke Gestalt und die breiten Schultern betonte. Die hellbraun gefärbten, stirnlangen Haare verliehen ihm etwas Verwegenes. Einmal mehr sah er zum Anbeißen aus.
„Ich habe mich nur überreden lassen, weil Matteo gemeint hat, die 3S-Bahn ist eine technische Meisterleistung“, erwiderte Emma.
„Was auch stimmt“, bestätigte Rüdiger. „Vierhundert Meter über dem Boden ist ziemlich beeindruckend.“
„Was ist der schnellste Weg zur Seilbahn?“, erkundigte sich Matteo und reinigte seine beschlagene Brille mit einem Putztuch.
Rüdiger deutete auf den Pistenplan vor ihnen. „Wir nehmen den Zweier-Sessellift und den Schlepplift auf die Wurzhöhe. Dann diese kurze Abfahrt hier und den Vierer-Sessellift bis zur 3S-Bahn. Wenn wir schnell sind, sollten wir kurz nach neun dort sein.“
„Aber nicht zu schnell“, wandte Emma ein. „Ihr wisst, mein Knie …“
„Keine Sorge.“ Auf Rüdigers Gesicht erschien ein strahlendes Lächeln. „Ich passe schon auf dich auf.“
Schiregion Kitzbühel, Piste 67
Samstag, 6. Januar, 08:49 Uhr
Eiskristalle unter geschliffenem Stahl
. Das gefiel ihm. Es erinnerte ihn an etwas. Etwas Schönes. Ein Schmunzeln kräuselte seine Lippen.
Er mochte Schi fahren. In ruhigen, weiten Schwüngen die noch fast leere Piste hinabzugleiten, hatte etwas Meditatives an sich. Der eisige Fahrtwind im Gesicht, das Brausen in den Ohren, der Geschmack des Winters auf der Zunge; er fühlte
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