Kabine 14: Ein Kitzbühel-Thriller (German Edition)
gerade eingestiegen. Dort vorn, sehen Sie?“
„Okay.“ Der Liftwart nickte. „Aber Sie sind die Letzten.“
Bayern, bei Freising, A92
Samstag, 6. Januar, 09:04 Uhr
„Pass auf!“, rief Anna und presste sich in den Beifahrersitz.
Bernhard fluchte, riss das Lenkrad herum und trat auf die Bremse. Der Mülleimer schlitterte nur einen knappen Meter am Wagen vorbei und krachte in die Leitplanke. Die Bäume am Straßenrand bogen sich zur Seite, berührten mit ihren Wipfeln beinahe den Boden. Zentimeterdicke Äste wirbelten über die Fahrbahn. Sie erblickten einen Wagen am Straßenrand, dessen Heckscheibe zu Bruch gegangen war. Ein weiteres Fahrzeug, direkt vor ihnen, war von einem schweren Gegenstand an der Motorhaube getroffen worden und blockierte mit hektischer Warnblinkanlage die dritte Spur. Innerhalb von Sekunden kam der Verkehr zum Erliegen.
Von der Ferne hat es gar nicht so schlimm ausgesehen
, dachte Bernhard betroffen. Eine einförmige, schwarze Wolkenwand. Also war die Wetterwarnung ausnahmsweise nicht übertrieben gewesen.
Bernhard überlegte auszusteigen und nachzusehen, ob den Reisenden des demolierten Wagens etwas geschehen war. Doch blies der Sturm nach wie vor in Orkanstärke, sodass ein Aufenthalt im Freien Lebensgefahr bedeutete. Zudem war der heftige Regen in kleinkörnigen, aber dichten Hagelschlag übergegangen. Bernhard hätte nicht gewundert, wenn die Energie der vom Wind getriebenen Eiskörner ausreichte, die Haut vom Körper zu schmirgeln.
Glücklicherweise währte der Sturm nur Minuten. Bald klarte es auf, Wind und Niederschlag ließen nach, auch der Verkehr kam wieder ins Rollen. Die Insassen des schwer beschädigten Wagens kletterten, augenscheinlich unverletzt, ins Freie. Bernhard entschied weiterzufahren. Die Kollegen von der Verkehrspolizei würden sich um das Unfallfahrzeug kümmern.
Obwohl sie glimpflich davongekommen waren, hegte Bernhard die Befürchtung, dass die Sturmfront schwere Schäden angerichtet hatte – oder noch anrichten würde.
Hoffentlich steht mein Garten das durch
, dachte er.
Innsbruck, ZAMG, Treppenaufgang
Samstag, 6. Januar, 09:08 Uhr
„Was tust du da?“
Andreas lugte über Peters Schulter, um einen Blick auf das geöffnete Notebook zu erhaschen. Peter blieb stumm und tippte behände auf der Tastatur. Andreas’ Blick fiel auf die lang gezogene Fleischwunde an Peters Wange.
„Du solltest die Verletzung behandeln“, meinte er. „Eine Blutvergiftung kann sehr gefährlich sein.“
„Gleich, gleich“, murmelte Peter abwesend, drückte gegen seine Brille und sog scharf die Luft ein.
„Was ist?“, fragte Andreas.
„Zweihundertdreizehn Stundenkilometer.“
„Bitte?“
„Die Windspitzen am Patscherkofel vor wenigen Minuten.“
„Wahnsinn … Und die Werte für Innsbruck?“
„Bei der Universität hundertneunundzwanzig. Flughafen hundertsiebenundvierzig. Grenzt an ein Wunder, dass das WLAN-Netz noch in Betrieb ist.“
„Der Sturm hat nachgelassen“, sagte einer der Umstehenden. „Ich gehe mal nachsehen, was von meinem Computer noch übrig ist.“
Die Menschenmenge löste sich auf. Auch Andreas erhob sich und trat vor die Eingangstür des Büros. Eine Sekunde schwebte seine Hand über der Klinke, dann drückte er sie entschlossen hinunter und zog die Tür auf.
Das Büro war kein Büro mehr. Es war ein Schlachtfeld.
Seilbahn GmbH Kitzbühel, Büro des Sicherheitschefs
Samstag, 6. Januar, 09:09 Uhr
„Wir erreichen Ibrahim nicht.“
„Wen?“ Benjamin nahm das Mobiltelefon von seinem Ohr.
„Ibrahim, den Liftwart der 3S-Talstation“, sagte Thomas, einer der Mitarbeiter.
„Habt ihr es schon über sein Handy versucht?“
„Ja, natürlich. Er geht weder ans Funkgerät noch an sein Mobiltelefon.“
„Mist.“ Benjamin ballte die Hand zur Faust. „Moment. Wenn wir die Anlage von oben abschalten …“
„… steigen bis dahin weiter Fahrgäste ein.“
„Richtig, also …“ Benjamin kam ein Gedanke. „Wer sitzt in der Talsen-Bergstation?“
„Maximilian Föhrer, ein Neuer.“
„Gut. Er soll rüberlaufen und Ibrahim Bescheid geben. Falls er ihn nicht sofort findet, muss er selbstständig den Zugang sperren und eine Durchsage machen, dass niemand mehr in die Kabinen steigen darf.“
„Ich bin mir nicht sicher, ob Maximilian genügend Kenntnisse über die Anlage hat.“
Benjamin funkelte sein Gegenüber an. „Hast du einen besseren Vorschlag?“
Thomas senkte den Blick. „Nein.“
„Dann ruf ihn an.“
Schiregion
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