Kabine 14: Ein Kitzbühel-Thriller (German Edition)
wurde sich Benjamin dieser Tatsache bewusst. Wie konnte sich eine solch beeindruckende Frau in jemanden wie ihn verlieben? Hatte er Natascha überhaupt verdient? Würde er ihr das geben können, was sie sich wünschte? Wäre er ihr ein guter Ehemann; das hieß, sofern sie seine vorherige Wortmeldung nicht als Scherz genommen hatte.
Hatte sie?
Seine Gedanken verloren sich in einem Netz aus Für und Wider, Bedenken, Hoffnungen und Zuversicht. Benjamin unterdrückte ein Gähnen. Allmählich machten sich Stress und Anstrengungen des heutigen Tages bemerkbar. Er sollte sich etwas Schlaf gönnen, damit er morgen fit für die Rettungsaktion war.
Leise Schritte näherten sich. Benjamin wandte den Kopf. „Sie müssen das Zimmer jetzt verlassen“, sagte die Krankenschwester mit Nachdruck. Doch war ihr Gesichtsausdruck mild und freundlich. Es wirkte nicht so, als würde sie ihn notfalls mit Gewalt hinauskomplimentieren.
„Gibt es eine Möglichkeit, dass ich mich irgendwo hinlege?“, erkundigte sich Benjamin. „Wenn sie aufwacht, möchte ich bei ihr sein.“
„Gastbetten haben wir leider nicht.“ Die Krankenschwester zwinkerte ihm verschwörerisch zu. „Aber
Ehepartnern
können wir Lehnstühle anbieten.“
Schiregion Kitzbühel, 3S-Bahn, Kabine 14
Samstag, 6. Januar, 21:45 Uhr
Trotz der unwirtlichen Wetterbedingungen, der allgemeinen Anspannung und ihrer wenig bequemen Lage, hatte Müdigkeit um sich gegriffen. Henrik hatte die Arme verschränkt, den Kopf gesenkt und schnarchte leise. Samantha war zur Seite gekippt und hatte sich wie ein Fötus zusammengerollt. Sie wachte nicht einmal auf, als Doris ihr den Rucksack unter den Kopf schob. Martin und Rüdiger schienen zu dösen, wenn sie nicht ebenfalls eingeschlafen waren. Raphael hielt Sonja eng an sich gedrückt, und Sandra und Michelle hantierten schweigend mit ihren Mobiltelefonen. Das einzige Gespräch, das noch im Laufen war, fand zwischen Doris und Sebastian statt. Sie tuschelten miteinander wie ein verliebtes Pärchen. Immer wieder war leises Lachen zu vernehmen. Definitiv mehr als ein harmloser Flirt. Emma rümpfte die Nase. In dieser Hinsicht verstand sie keinen Spaß. Doris trug einen Ring am Finger ihrer rechten Hand. Sie war also verheiratet, auch wenn sie es bislang nicht zugegeben hatte. Offensichtlich hinderte sie dies nicht daran, mit einem fremden Mann herumzumachen. Emma argwöhnte, dass bedingungslose Treue nicht zu Doris’ Eigenschaften zählte.
Sie schielte zu Matteo hinüber. Es war ein offenes Geheimnis, dass er sie betrog. Oft genug waren ihr fragwürdige Kommentare aufgefallen, wenn er über die Pflegerinnen in seiner Abteilung gesprochen hatte. Auch erschien ihr verdächtig, dass er nie gewollt hatte, dass Emma im selben Krankenhaus arbeitete. Dazu kamen angebliche Überstunden und Phantomanrufe spät in der Nacht. Manchmal roch Matteo nach fremdem Parfum. Frauenparfum.
Emma verdrängte die unliebsamen Gedanken. Vielleicht sollte sie auch ein wenig dösen. Konnte jedenfalls nicht schaden. Wer wusste schon, welche Anstrengungen der morgige Tag bereithielt. Sie warf einen letzten Blick in die Runde. Alles war ruhig.
Emma schloss die Augen.
*
Doris fröstelte. Augenscheinlich war sie die Einzige in der Kabine, der die Kälte zusetzte. Objektiv betrachtet, war es vermutlich nicht besonders eisig. Aber ihr Stoffwechsel konnte mit niederen Temperaturen nicht so gut umgehen. Doris war meistens kalt. Bloß im Hochsommer fühlte sie sich wohl. Dennoch. Solange sie alle Gliedmaßen spürte – und das tat sie auf teils sehr schmerzhafte Weise – sollte die Gefahr von Erfrierungen gering sein. Hoffte sie wenigstens.
Doris erinnerte sich des Apfels in ihrem Rucksack. Seltsamerweise war ihr Hunger abgeflaut, hatte einem Gefühl gleichmütiger Sättigung Platz gemacht. Dazu kam, dass Samantha auf dem Ranzen lag. Wenn sie jetzt nach dem Apfel zu kramen begann, würde ihre Tochter unweigerlich erwachen.
Egal
, dachte Doris und gähnte herzhaft.
Dann gibt’s eben ein leckeres Frühstück
.
*
Endlich
. Kribbelnde Erregung erfasste seinen Körper. Selbstverständlich war an Schlaf nicht zu denken. Nicht in den kommenden Stunden, die von unzähligen Möglichkeiten gespickt sein mochten. Und Möglichkeiten würden sich ergeben, auf die eine oder andere Weise. Er hatte vor, sämtliche Chancen zu nützen. Oder zumindest ein paar. Allerwenigstens eine einzige.
Kitzbühel, Hotel Resch
Samstag, 6. Januar, 23:30 Uhr
Inzwischen hatte sie es schwarz auf
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