Kabine 14: Ein Kitzbühel-Thriller (German Edition)
weiß: Der Unbekannte aus der Lobby, den sie auf dem Foto wiedererkannt hatte, hieß Bernhard Lichtenberger und war Polizeikommissar in Straubing.
Es war gar nicht schwer gewesen, den Namen zu eruieren. Herausfordernder war da schon, Näheres zu dem Mordfall in Erfahrung zu bringen. Eine junge Frau war vergewaltigt und umgebracht worden. So viel stand einmal fest. Doch waren die Behörden mit weiteren Erklärungen sehr sparsam geblieben. Selbst wenn man berücksichtigte, dass der Mörder bislang nicht gefasst werden konnte, waren die verfügbaren Daten ungewöhnlich rar. Auch Stefanies meist zuverlässige und ausgiebige Quellen brachten keine hilfreichen Informationen.
Dies alles ließ Stefanie misstrauisch werden. An der Geschichte war etwas faul; und sie musste herausfinden, was es war. Der Weg, den sie nun beschritt, konnte nicht als legal bezeichnet werden. Vielmehr war er in hohem Maße illegal. Während ihrer Jugendzeit war sie eine begnadete Hackerin gewesen. Mit dem Ende ihrer Berufsausbildung hatte sie diese Tätigkeit zwar kaum noch ausgeübt, aber hin und wieder war es hilfreich, sich auf ihre Erfahrung und spezielle Computerprogramme stützen zu können.
Der direkte Weg wäre gewesen, auf die Polizeidatenbank zuzugreifen. Dies war aus verschiedenen Gründen schwierig bis unmöglich und bot zudem ein erhebliches Risiko. Besser war, nach Verknüpfungen und Ähnlichkeiten im Netz zu suchen, nach nicht verschlüsselten E-Mails aus dem Präsidium, nach zeitlich relevanten Telefonanrufen sowie nach ungewöhnlichen Maßnahmen und Verlautbarungen der Presseabteilung.
In Summe kostete es Stefanie einiges an Fingerspitzengefühl, Raffinesse und verdammt viel Zeit, um zu den wirklich interessanten Informationen vorzudringen. Und selbst dann brauchte es eine gesunde Kombinationsgabe, um die Wahrheit herauszufiltern. Als sich diese schlussendlich zu einem klaren Bild zusammenfügte, stockte Stefanie der Atem.
Möglicherweise war hier in Kitzbühel ein Serienmörder unterwegs. Einer, der mit Vorliebe junge Frauen vergewaltigte und tötete.
Stefanie schielte zur Tür ihres Zimmers. Hatte sie vorhin zugesperrt? Sie erhob sich und kontrollierte die Verriegelung, aber es war abgeschlossen. Nur minder beruhigt wanderte sie zu ihrem Arbeitsplatz zurück und ging unschlüssig auf und ab. Dies war zweifellos ein heißes Eisen; so heiß, dass sie sich leicht die Finger daran verbrennen konnte. Das Beste wäre wohl, wenn sie einen oder mehrere ihrer Kollegen in die Ergebnisse ihrer Recherchen einweihte. Allerdings würde sie auf diesem Weg nicht mehr alle Lorbeeren für sich ernten können. Dabei hatte sie Lorbeeren fürwahr nötig.
Die andere Alternative war, dass sie es morgen brachte; vielleicht sogar während der Live-Übertragung. Zweifellos eine waghalsige Aktion mit enormem Risiko, welche darüber hinaus die laufenden Ermittlungen gefährden mochte. Aber momentan kannten ihr Mut und ihr Egoismus keine Grenzen. Eine ungewohnte Empfindung, aber nicht unangenehm. Womöglich hatte die Auseinandersetzung mit Franz doch Positives bewirkt.
Trotzdem: Jetzt eine Entscheidung zu treffen, war zu früh. Sie sollte wenigstens darüber schlafen. Morgen war auch noch ein Tag.
Schiregion Kitzbühel, 3S-Bahn, Kabine 14
Samstag, 6. Januar, 23:50 Uhr
Raphael schreckte hoch. Das knarzende Geräusch von Schischuhen hatte ihn geweckt. Verschlafen tastete er nach seinem Smartphone, darauf bedacht, den Oberkörper ruhig zu halten. Sonjas Kopf war gegen seine Schulter gesunken. Sie atmete tief und gleichmäßig. Ein gutes Zeichen.
Das schwache Licht des Handydisplays beleuchtete eine breitschultrige Gestalt, die über der geöffneten Luke hockte. Sie wandte den Kopf. Es war Sebastian.
„Sorry“, flüsterte er und zog eine Grimasse. „Ich wollte niemanden wecken.“
„Schon in Ordnung“, murmelte Raphael und winkte ab. „Menschliche Bedürfnisse haben Vorrang.“
*
Träge öffnete er die Augen. Es roch nach Blut. Frischem Blut. Sorgfältig darauf bedacht, dass seine Lider halb geschlossen blieben, ließ er seinen Blick durch die Kabine schweifen. Es war stockdunkel, jedenfalls fast. Obwohl weder ein Handydisplay noch eine andere Lichtquelle erglühte, vermochte man vage Schemen zu erkennen. Möglicherweise drangen ein paar Prozent des Mondlichtes selbst durch die dichte Wolkendecke und das wirbelnde Schneegestöber.
Jemand hockte über der Luke. Er wusste instinktiv, dass es eine Frau war. Eine junge Frau. Seine Mundwinkel
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