Kabine 14: Ein Kitzbühel-Thriller (German Edition)
Raubtier. Seine Augen glühten. „Lasst mich in Ruhe!“, fauchte er, und eine klebrige Speichelfahne lief aus seinem Mundwinkel.
„Henrik.“ Sebastians Stimme war hart und schneidend. „Was hast du getan?“
Er trat einen Schritt auf den Rothaarigen zu.
Mit einem Mal blitzte es silbern in Henriks ausgestreckter Hand. Das Schnappmesser war mindestens zehn Zentimeter lang und ohne Zweifel scharf.
„Zurück!“, kreischte Henrik und die Adern an seinen Schläfen pulsierten. „Oder ich bringe euch um!“
*
Für einige Sekunden rührte sich niemand. Auch Emma hatte ihre Wiederbelebungsversuche eingestellt. Es schien, als befänden sie sich in einem Videofilm und als hätte ein perfider Gott den Pausenknopf betätigt.
„Ich war’s nicht“, gurgelte Henrik und deutete anklagend auf Matteo. „Du hast sie umgebracht!“
Matteo zuckte zusammen. „Sie sind wahnsinnig“, murmelte er. „Legen Sie das Messer weg!“
„Du warst es!“, brüllte Henrik und deutete diesmal auf Sebastian.
Sebastians Augen waren kleine, feurige Kohlen und brannten sich in Henriks Antlitz. „Weg mit dem Messer“, fauchte er.
Sebastian suchte Matteos Blick. Dieser verstand und nickte kaum wahrnehmbar. Von zwei Seiten näherten sie sich Henrik. Auch Rüdiger schloss sich ihnen an.
„Kommt nicht näher“, grollte der Rothaarige und fuchtelte mit seinem Messer umher. „Ich meine es ernst!“
„Sie wollen doch niemanden verletzen“, sagte Matteo beschwörend, hob beide Hände und lenkte damit Henriks Aufmerksamkeit auf sich. „Legen Sie das Messer weg. Dann können wir uns in Ruhe unterhalten, was eigentlich geschehen ist.“
Sebastian näherte sich von der Seite. Henrik wandte sich ihm zu, aber auch Matteo tat einen Schritt nach vorn. Der Rothaarige zögerte. Sein Blick flackerte. Er wich noch weiter zurück, bis er mit seinen Kniekehlen gegen die Sitzbänke stieß.
Unerwartet schnellte Sebastian vor und packte Henriks Messerarm. Henrik keuchte überrascht, wollte sich losreißen. Doch Matteo ergriff seinen zweiten Arm. Als der Rothaarige nach dem Chirurgen treten wollte, schnappte sich Rüdiger das Bein und zog daran. Henrik verlor das Gleichgewicht. Im selben Moment schlug Sebastian die Hand mit dem Messer gegen eine Haltestange der Kabine. Henrik kreischte auf. Er ließ die Waffe fallen und stürzte zu Boden. Sofort waren die anderen über ihm und drückten ihn auf das Wellblech.
Henrik brüllte wie am Spieß. Mit aller Macht wehrte er sich gegen die Übermacht, bockte, trat um sich und versuchte Matteo in die Hand zu beißen.
„Wir brauchen etwas, um ihn zu fesseln!“, schrie Sebastian.
„Ich hab’ ein Seil!“, rief Raphael und öffnete seinen Rucksack.
Das Tau war etwa drei Meter lang. Sie schnitten es auseinander und fesselten Henrik an Armen und Beinen, sodass er bloß seinen Oberkörper hilflos hin- und herwerfen konnte. Emma registrierte, dass einige von Henriks Fingern blau vor Kälte waren. Ihr Mitleid hielt sich in Grenzen.
Schwer atmend erhoben sich die vier Männer und blickten auf Henriks zuckende und fluchende Gestalt hinab. „Hübsches Paket“, sagte Matteo und rückte seine Brille zurecht.
*
Emma sah nach einigen Minuten vergeblicher Reanimation ein, dass Doris tot war. Martin und Rüdiger legten den Leichnam auf die andere Seite der Gondel und breiteten Doris’ Jacke über ihren Oberkörper, sodass ihnen der grässliche Anblick erspart blieb. Martin sprach ein kurzes Gebet. Stockend und nicht besonders einfallsreich, aber das bekümmerte niemanden.
Sebastian unternahm mehrmals den Versuch, Henrik zum Sprechen zu bringen. Doch dieser blieb stur, fluchte und spuckte und wünschte ihnen allesamt eine Fahrt in die Hölle.
Schweigend hockten die Fahrgäste auf ihren Sitzen. Die meisten Personen starrten ins Leere. Sebastians Gesicht war blass und bar jeder Regung. Samantha drückte sich gegen Sonjas Brust, schniefte herzzerreißend und wurde alle paar Sekunden von Weinkrämpfen geschüttelt.
Was für eine Katastrophe
, dachte Emma.
Als kleines Kind die Mutter zu verlieren
. „Ich frage mich nur“, sagte Sonja leise, „weshalb er Doris umgebracht haben sollte.“
„Vielleicht ist er einfach ausgerastet“, meinte Raphael.
„Vielleicht“, gab Sonja zu. „Aber dann hätten wir doch etwas mitbekommen müssen. Ich meine, hat irgendjemand etwas Verdächtiges gehört?“
Allgemeines Kopfschütteln.
„Mir ist nur aufgefallen …“, begann Rüdiger, wurde aber von einem Aufschrei
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