Kabine 14: Ein Kitzbühel-Thriller (German Edition)
sich so an, als würde ein uralter, zahnloser Löwe den Versuch unternehmen zu brüllen. Dennoch versprühte das Geräusch den Odem einer düsteren Bedrohung.
Augenblicke später war Andreas erwacht.
Erschöpft strich er sich mit einer Hand über die Stirn. Sie war schweißbedeckt. Vielleicht hatte Peter, sein Kollege, doch recht. Vielleicht sollte er professionelle Hilfe in Anspruch nehmen. Die Wiederkehr dieses Traums war unheimlich, erschreckend. Mittlerweile war es das dritte Mal innerhalb weniger Tage. Wenn seine Schlafprobleme anhielten, würde sich das früher und später auf seine Gesundheit schlagen. Andreas hatte jemanden gekannt, der nach einer Woche ohne richtigen Schlaf dem Wahnsinn verfallen war. Dieses Schicksal wollte er sich auf jeden Fall ersparen.
Gib dir einen Ruck, du sturer Hund!
Ermattet schloss Andreas die Augen.
Vielleicht ist es tatsächlich mehr als nur ein Traum
.
Schiregion Kitzbühel, 3S-Bahn, Kabine 14
Sonntag, 7. Januar, 04:50 Uhr
„Mama!“
Emmas Schädel dröhnte.
Wo bin ich?
„Mama!“
Ächzend hob Emma den Kopf, blinzelte.
Was ist los?
„Mama!“
Die Stimme eines Kindes, eines Mädchens.
Es heißt Samantha
, erinnerte sich Emma. Jemand stieß einen Schrei aus. Emma kam hoch, rieb sich die Augen. Es war überraschend hell in der Kabine. Drei, vier Handydisplays leuchteten, ebenso Raphaels Taschenlampe. Weitere Stimmen wurden laut.
„Doris? Verdammte Scheiße!“
Emma blickte sich um. Doris lag in Sebastians Armen. Reglos. Die Augen weit aufgerissen. Das Gesicht bleich wie der Tod. War sie tot?
„Oh mein Gott“, wisperte Martin.
Eisige Erkenntnis brandete durch Emmas Körper. Etwas war geschehen. Etwas, das nicht hätte geschehen dürfen. Sie sprang auf und eilte an Sebastians Seite.
„Vielleicht ist sie nur ohnmächtig.“
Emma wünschte sich von Herzen, dass Rüdigers unerschütterlicher Optimismus auch diesmal recht behielt.
„Nein“, stellte Matteo nüchtern fest, der sich ebenfalls über die Leblose gebeugt hatte. „Sie atmet nicht mehr.“
Emma drückte zwei Finger gegen Doris Hals.
Bitte
, flehte sie.
Sei nicht tot!
Kein Puls.
„Reanimieren“, sagte sie. „Sebastian, leg sie auf den Boden.“
„Aber …“
„Sofort.“
Sebastian tat, wie ihm geheißen. Mit einem Mal wirkte er hilflos und verzweifelt, wie ein kleines Kind, das seine Mutter in der Menschenmenge verlor und nicht mehr wusste, wohin.
Eins, zwei, drei
, dachte Emma konzentriert, während sie die Herzdruckmassage durchführte.
Tränenbäche rannen über Samanthas Wangen. Ihre Augen waren glasig. „Mama“, murmelte sie. „Sag doch etwas …“
Sonja erhob sich, setzte sich neben Samantha und nahm sie in den Arm. „Alles wird gut“, flüsterte sie. Aber der Blick, den sie Emma zuwarf, wirkte alles andere als zuversichtlich.
Achtundzwanzig, neunundzwanzig, dreißig. Beatmen!
Emma überstreckte Doris’ Kopf und begann mit der Mundzu-Mund-Beatmung.
Matteo kniff die Augen zusammen. „Ihre Kehle …“, murmelte er und beugte sich näher heran. Ohne seinen Handschuh auszuziehen, strich er mit zwei Fingern über Doris gestreckten Hals. „Ihr Kehlkopf ist eingedrückt“, sagte er. „Fast so, als ob …“
Er verstummte.
Emma hielt inne. Matteo hatte recht. Doris Hals war verformt. Auf den ersten Blick kaum zu erkennen, aber wenn man wusste, wonach es zu suchen galt, blieb die Einbuchtung im Luftröhrenbereich nicht verborgen. Das sah nicht nach einem Unfall aus. Und es bedeutete, dass Doris vermutlich nicht zu retten war.
Eins, zwei, drei
, zählte Emma verbissen und fuhr mit der Herzdruckmassage fort.
Tränen sickerten in ihre Augen. Hastig wandte sie sich zur Seite. Sie wollte nicht, dass es Matteo mitbekam. Dabei fiel ihr Blick auf Henrik. Der Rotschopf rührte sich noch immer nicht, aber seine Körperhaltung sprach Bände: angespannt, steif, die Hände an der Sitzbank aufgestützt, als wollte er jeden Moment aufspringen. In seinen Augen loderte ein unstetes Feuer. Brannte es aus Furcht, Entsetzen oder gar Bosheit?
„Henrik“, hauchte Emma.
„Scheiße“, entfuhr es Rüdiger. „Hier klebt Blut am Boden!“
Der Rothaarige schnellte von seinem Sitz wie eine gespannte Feder. Er stieß Rüdiger beiseite, der vor ihm stand, und hechtete an das andere Ende der Kabine. Michelle und Sandra kreischten auf, als Henrik in ihre Richtung stürmte. Panisch rückten sie zur Seite, drängten sich an Raphael.
Henrik stand in der Ecke der Gondel wie ein in die Enge getriebenes
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