Kaelter als dein Grab
Jake riss das Steuer abrupt nach links. Eine Kugel durchschlug die Windschutzscheibe. Glassplitter rieselten auf Leigh hinab. Sie blickte nach oben und sah winzige weiße Risse, die sich wie ein Netz von Blutgefäßen auf der Windschutzscheibe ausbreiteten.
„Halt dich fest!“ Jake trat aufs Gaspedal. „Das wird jetzt ungemütlich.“
Der SUV holperte über den Bordstein, pflügte anschließend durch eine Hecke und ein Blumenbeet. Jake wirbelte den Wagen herum, war aber nicht schnell genug, um dem Mülleimer auszuweichen, den er nun quietschend über den Asphalt mitschleifte. Fluchend setzte Jake den Wagen zurück und fuhr schließlich Richtung Straße.
Unbehagliches Schweigen setzte ein. Lediglich das monotone Brummen des Motors und das Geräusch der Reifen auf der nassen Fahrbahn waren zu hören. Leighs Magen revoltierte, und einen unangenehmen Moment lang befürchtete sie, dass sie sich übergeben müsste.
„Bist du in Ordnung?“
Am ganzen Körper zitternd, setzte Leigh sich hin. „Ich habe das Gefühl, dass ich mich gleich übergeben muss.“
Jake blickte besorgt zu ihr hinüber. „Ich kann nicht anhalten.“
Als sie spürte, wie ihr der Schweiß ausbrach, öffnete sie das Fenster einige Zentimeter und genoss die kalte Luft auf ihrem erhitzten Gesicht.
„Atme tief ein“, sagte er.
Das tat sie, und allmählich verschwand die Übelkeit. Dafür traf sie jetzt mit voller Wucht die Erkenntnis, dass sie beinahe getötet worden waren. Dass sich ein Monster auf freiem Fuß befand. Dass Rasmussen ein Raubtier und sie seine Beute war und dass er niemals aufgeben würde, bevor er sie nicht getötet hatte. Dann erinnerte sie sich an das Blut auf Jakes Mantel und konzentrierte sich darauf.
„Wie schwer hat’s dich erwischt?“
„Nur ein Streifschuss.“
Erleichterung machte sich in ihr breit. „Wie kann Rasmussen nach sechs Jahren im Gefängnis so gut organisiert sein und immer noch so viel Macht haben?“
„Er hatte viele Kontakte nach draußen. Anwälte. Buchhalter. Er hat Geld auf irgendwelchen Konten in Übersee. Er verfügt über Verbindungen. Und er ist gnadenlos. Es gibt nicht viele Menschen, die ihm in die Quere kommen wollten.“ Jake verzog das Gesicht. „Du bist ihm in die Quere gekommen.“
„Du ebenfalls.“
Er presste die Kiefer zusammen. „Ja, schon, aber von mir ist er nicht besessen.“
Sie blickte nach unten und bemerkte, dass ihre Hände zitterten. Sie hasste es, Angst zu haben, hasste es, sich immer umschauen zu müssen, ob sie nicht verfolgt wurde. Sie hatte die letzten sechs Jahre damit verbracht, sich ein neues Leben aufzubauen. Ein neuer Name. Ein neuer Job. Ein neues Apartment. Ausgerechnet jetzt, da sie einen gewissen Grad von Normalität wiedererlangt hatte und ein Leben lebte, mit dem sie zufrieden war, fing der Albtraum wieder von vorne an.
„Wohin fahren wir?“
„Erst einmal sehen wir einfach zu, dass wir diese Mistkerle mit ihren Kanonen möglichst weit hinter uns lassen.“
Wieder stieg Übelkeit in ihr hoch, und sie legte die Hände vors Gesicht. Heiße Tränen brannten hinter ihren Augenlidern, doch Leigh hatte sich zur Meisterin darinentwickelt, ihre Gefühle zu kontrollieren. Was sie nicht unter Kontrolle hatte, war die Angst. Sie hatte es so satt, sich ständig als Opfer zu fühlen.
Sie atmete noch einmal tief ein und wandte sich dann an Jake. Dabei fiel ihr Blick auf das Loch in seinem Mantel. Auf der rechten Seite, direkt über seiner Hüfte. Es hatte die Größe einer Münze. Der Stoff hatte sich vollgesaugt mit Blut.
„Oh Jake, du blutest.“
„Ich kann fahren.“
„Das ist mehr als nur ein Streifschuss. Das sieht böse aus. Du musst …“
„Wir können jetzt nicht anhalten, Leigh.“
„Kannst du jemanden von der Agency um Hilfe bitten? Dass sie uns irgendwo treffen und du dort ärztlich versorgt werden kannst?“
Jake antwortete nicht, doch sie bemerkte, wie seine Fingerknöchel weiß wurden, als er das Steuer fester umklammerte, und ein ungutes Gefühl überkam sie. Es überraschte sie, dass sie ihn auch nach all den Jahren noch so gut kannte. Sie hatten vor einer Ewigkeit eine einzige Woche miteinander verbracht. Doch es war eine Woche voller lebensbedrohlicher Gefahren gewesen, eine Achterbahnfahrt der Gefühle und von atemloser Intensität. Sie hatten ein gemeinsames Ziel gehabt, hatten gemeinsam gegen ein Monster gekämpft. Und für einen kostbaren Moment hatten sie die gleiche blinde Leidenschaft geteilt…
Leigh schob die
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