Kaelter als dein Grab
Erinnerungen beiseite. „Musst du nicht die Agency anrufen und sie benachrichtigen, was passiert ist?“
Jake sah sie kurz an, blickte dann in den Rückspiegel und wieder nach vorn auf die Straße. „Nein.“
„Wieso nicht?“
„Weil ich heute Morgen meinen Dienst bei der Agency quittiert habe.“
Leigh wusste nicht, was sie sagen sollte. Für Jake hatte sein Job immer an erster Stelle gestanden. Seinen Auftrag zu erfüllen, was auch immer es kostete. Er definierte sich über die Arbeit. Vor sechs Jahren war er bereit gewesen, sie zu opfern, um an Rasmussen heranzukommen. Etwas, das sie ihm niemals würde verzeihen können.
Sie wusste nur zu gut, was ihm der Job bei der MIDNIGHT Agency bedeutete, und fragte sich unwillkürlich, warum er dort weggegangen war. Sie versuchte sich einzureden, dass es keine Rolle spielte. Nichts, was er jetzt tat, würde das ändern, was vor sechs Jahren geschehen war. Andererseits hatte sie sich immer gerne selbst belogen, wenn es um Jake ging.
„Ich hoffe, dass dein Weggang von der Agency nichts mit mir zu tun hat“, sagte sie.
„Wenn ich heute Morgen nicht gegangen wäre, würdest du jetzt tot in dem Motel liegen.“ Er warf ihr einen finsteren Blick zu. „Oder wärst auf dem Weg zu Rasmussen.“
„Das kannst du nicht wissen.“
Sein Lachen sagte ihr, dass er es doch tat. „Du magstglauben, dass du mit dieser Sache allein klarkommst, Leigh, aber ich sage dir, das tust du nicht. Und ich bitte dich, es erst gar nicht zu versuchen.“
„Ich bin nicht mehr die naive Kleine von damals, Jake.“ „Ich habe dich nie für naiv gehalten.“
„Nein, du hast mich nur so behandelt. Bis der Zeitpunkt kam, an dem du dir das holen konntest, was du brauchtest.“ Leigh schauderte, als die Erinnerung an jenen Tag sie einholte. Die MIDNIGHT Agency hatte sie mit einem versteckten Mikro ausgestattet. Sie hatte sich mit Rasmussen in dessen Loft in der Michigan Avenue getroffen. Es war der schlimmste Tag ihres Lebens gewesen. Doch sie hatte es geschafft, dass er sich selbst belastete und dies aufgezeichnet wurde. Nur, dass sie dafür ihre Seele hatte verkaufen müssen …
Mit einem Seufzer schüttelte sie die Erinnerung ab. „Hör zu, ich weiß, wie man verschwindet. Alles, was ich brauche, ist ein neuer Name. Eine neue Stadt …“
„Er wird nicht aufhören, nach dir zu suchen“, unterbrach Jake. „Was glaubst du, wie lange du dich verstecken kannst? Eine Woche? Einen Monat? Ein Jahr? Früher oder später fliegt deine Tarnung auf.“
„Er ist ein flüchtiger Verbrecher. Er kann der Polizei nicht ewig entkommen.“
„Wenn er außer Landes flieht, kann es Jahre dauern, bis wir ihn haben. Er hat die Mittel, sich so lange zu verstecken, wie es nötig ist.“
„Wie es wofür nötig ist?“ Kaum hatte sie die Worteausgesprochen, bereute sie sie auch schon, denn sie wusste, was er entgegnen würde.
„Dich zu finden“, antwortete er gepresst. „Ich möchte nicht einmal daran denken, was er dir antun würde. Verdammt noch mal, du kennst ihn, Leigh. Er ist besessen von dir. Er ist entschlossen, sich zu rächen. Wegen seiner Eifersucht, seines Hasses und seines Ego. Du hast seinen Blick beim Prozess gesehen, als du im Zeugenstand gegen ihn ausgesagt hast. Er ist fixiert auf dich. Und er weiß, was zwischen …“ Er brach ab und sah zur Seite. „Zwischen uns beiden war.“
Obwohl ihr das Herz vor Angst bis zum Hals schlug, spürte sie einen unwillkommenen Anflug von Sehnsucht bei der Erwähnung dessen, was vor sechs Jahren zwischen ihr und Jake geschehen war. Leigh wusste, dass es verrückt klang, doch so war es immer zwischen ihnen gewesen. Selbst in Lebensgefahr hatten sie einander nicht widerstehen können. Eine einzige unglaubliche Nacht in seinen Armen, und es war um sie geschehen …
„Wie konnte ich mich nur mit einem Mann wie Ian Rasmussen einlassen?“, flüsterte sie.
Jake zuckte mit den Schultern. „Du konntest nicht wissen, was für eine Art Mensch er wirklich war. Er hatte seine Geheimnisse bestens gehütet. Er war Chicagos berüchtigtster Junggeselle, und er besaß ein erfolgreiches Restaurant in der Michigan Avenue. Er war ein Liebling der Medien.“
„Aber ich war fast ein Jahr mit ihm zusammen.“
„Fang gar nicht erst an, dir die Schuld zu geben, Leigh. Du warst jung. Unerfahren. Das wusste er und hat es ausgenutzt, um dich zu manipulieren.“
Selbst nach all dieser Zeit kam sie sich deswegen wie eine Närrin vor. Ja, sie war jung gewesen – gerade
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