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Kaelter als dein Grab

Kaelter als dein Grab

Titel: Kaelter als dein Grab Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Linda Castillo
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einem womöglich entscheidenden Moment stören. Sie beruhigte sich damit, dass er sie anrufen würde, falls irgendetwas geschah. Seit er fort war, hatte sie ihr Handy nicht aus den Augen gelassen.
    Sie legte ein weiteres Holzscheit aufs Feuer, obwohl es bereits loderte. In der Küche kochte sie Tee, den sie dann aber doch nicht trank; vielmehr lief sie nur mit dem Becher in der Hand hin und her. Sie konnte nicht still sitzen, konnte nicht aufhören, über Jake nachzudenken und über all die Dinge, die schiefgehen konnten.
    „Bitte sei vorsichtig“, flüsterte sie, während sie zum Fenster ging und die Vorhänge beiseiteschob.
    Irgendwann hatte der Wind zugenommen. Leigh hörte, wie er um die Hütte heulte. Normalerweise machte es ihr nichts aus, allein zu sein, doch heute Abend hatte sie das Gefühl, als wäre sie der einzige Mensch auf der Welt. Einer Welt, die plötzlich feindselig und gefährlich war. Es würde ein sehr langer Abend werden.
    Sie wollte den Vorhang gerade wieder zufallen lassen und sich am Feuer aufwärmen, als eine Bewegung am Waldrand ihre Aufmerksamkeit auf sich zog. Bei der Dunkelheit und dem vielen Schnee war sie nicht sicher, dochsie glaubte gesehen zu haben, wie sich dort etwas bewegte. War es vielleicht ein Reh gewesen? Hatten ihre angespannten Nerven ihr einen Streich gespielt? Oder hatte sie tatsächlich etwas gesehen, sodass sie unbedingt Mike Madrid alarmieren sollte?
    Er hatte ihr gesagt, dass er mit einem Nachtsichtgerät ausgestattet sei. Sicherlich würde er es bemerken, wenn sich jemand der Hütte näherte. Vermutlich fürchtete sie sich schon vor ihrem eigenen Schatten. Die Folgen von zu hoher Anspannung und einer lebhaften Fantasie.
    Doch in den sechs Jahren, die sie sich versteckt hatte, hatte Leigh gelernt, ihrem Instinkt zu vertrauen. Und genau jetzt riet ihr dieser Instinkt, auf Nummer sicher zu gehen und Mike Madrid Bescheid zu geben.
    Sie setzte den Becher Tee auf dem Kaminsims ab und zog ihren Mantel an. Im Flur schlüpfte sie in ihre Stiefel und ging dann zur Tür hinaus. Die eisige Kälte verschlug ihr fast den Atem. Draußen war es so still, dass sie fast zu hören meinte, wie der Schnee zu Boden fiel. Sie folgte Mikes Fußstapfen und gelangte zur Rückseite der Hütte. Er hatte den Picknicktisch und den Schornstein benutzt, um auf das Dach zu klettern.
    „Mike?“
    Sie wartete eine ganze Minute, doch er antwortete nicht.
    Sie wollte keinen Lärm machen, fand aber, dass er davon erfahren sollte, dass sie etwas am Waldrand gesehen hatte.
    Als es weiter still blieb, stapfte sie durch den Schnee zur Seitenwand der Hütte. „Madrid?“, fragte sie etwas lauter.
    Mit zunehmendem Unbehagen ging sie in Richtung Vordereingang. Da er ihr nicht antwortete, würde sie ihn auf dem Handy anrufen. Er hatte es für den Fall, dass sich jemand in der Nähe befand, auf Vibration gestellt, damit kein Klingeln zu hören war.
    Auf halbem Weg zur Tür bemerkte sie etwas Dunkles in dem hellen Schnee. Zuerst dachte sie, dass jemand Kaffee ausgeschüttet hätte. Sie ging in die Hocke und legte ihre Hand auf den dunklen Fleck. Als ihr der metallische Geruch von Blut in die Nase stieg, spürte sie, wie sich ihr Herzschlag abrupt beschleunigte.
    Rasch sprang sie auf und rannte los. Sie bog in einem mörderischen Tempo um die Ecke der Hütte und stürzte durch die Eingangstür. Alles wirkte so, wie sie es verlassen hatte. Das Feuer brannte im Kamin. Der Becher Tee stand auf dem Sims. Das Handy lag auf dem Kaffeetisch.
    Doch dann bemerkte sie, dass die Pistole, die sie neben das Telefon gelegt hatte, verschwunden war. Und sie registrierte den geschmolzenen Schnee am Boden. Jemand befand sich in der Hütte. „Mike?“, rief sie.
    Sie spürte die Gefahr und stürzte auf das Handy zu. Doch auf halbem Weg sah sie zwei Männer aus der Küche kommen. Einer war mit einem Gewehr bewaffnet, der andere mit einer Pistole.
    Sie wirbelte herum, um zur Tür zu laufen, und fand sich plötzlich Ian Rasmussen gegenüber. Groß und elegant in seinem langen Ledermantel, den schwarzen Handschuhen und dem Kaschmirschal, stand er nur einen Metervor ihr und betrachtete sie mit kalten, leidenschaftslosen Augen.
    Leigh hatte immer geglaubt, dass sie ihren schlimmsten Albtraum vor sechs Jahren durchlebt hatte. Jetzt erkannte sie, dass sie sich geirrt hatte. Ian Rasmussen gegenüberzustehen und zu wissen, dass er keinerlei Gnade mit ihr oder mit Jake haben würde – das war ihr schlimmster Albtraum.
    Ein Albtraum, der

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