Kälteschlaf - Indriðason, A: Kälteschlaf - Harðskafi
euch im Gymnasium kennengelernt, nicht wahr?«
»Wir waren sogar drei Jahre zusammen, zwei Jahre im Gymnasium und eins an der Uni. Sie hat Geschichte studiert, wie du vielleicht weißt. Sie war so ein Bücherwurm.«
»Habt ihr zusammengelebt, oder …?«
»In unserem letzten Jahr hat es mir gereicht.«
Jónas schwieg. Erlendur wartete.
»Ihre Mutter war … Sie mischte sich in alles ein, um die Wahrheit zu sagen«, erklärte Jónas. »Und das Komische war, dass sich María überhaupt nicht daran störte. Ich bin zu ihr in dieses Haus in Grafarvogur gezogen, aber ich habe schon bald kapituliert. Diese Leonóra steckte ihre Nase einfach in alles rein, und ich hatte das Gefühl, dass María und ich nie in Ruhe gelassen wurden. Ich versuchte, mit ihr darüber zu reden, aber María fand gar nichts dabei, ihre Mutter ständig um sich zu haben, und daran war nichts zu ändern. Wir haben darüber gestritten, und dann hatte ich irgendwann einfach keinen Bock mehr und bin gegangen. Keine Ahnung, ob María mir jemals nachgeweint hat. Seitdem haben sich unsere Wege kaum mehr gekreuzt.«
»Sie hat dann später geheiratet.«
»Ja, ist er nicht irgend so ein Arzt?«
»Du hast die Verbindung also nicht vollständig abgebrochen?«
»Doch, nein, das habe ich nur gehört und war nicht erstaunt.«
»Hast du sie noch häufig getroffen, nachdem ihr auseinander wart?«
»Vielleicht zwei- oder dreimal, rein zufällig, auf Partys oder dergleichen. Das war vollkommen okay. María war ein wirklich nettes Mädchen. Grauenvoll, dass sie diesen Weg gewählt hat.«
In Erlendurs Tasche klingelte das Handy. Er entschuldigte sich und nahm das Gespräch an.
»Sie will es tun«, hörte er Eva Lind am anderen Ende der Leitung sagen.
»Was?«
»Dich treffen.«
»Wer?«
»Mama. Sie will es machen. Sie ist damit einverstanden, dich zu treffen.«
»Ich bin in einer Besprechung«, sagte Erlendur und sah zu Jónas hinüber, der sich ohne ein Zeichen von Ungeduld über den gelben Schlips strich.
»Bist du dann nicht auch dazu bereit?«, fragte Eva Lind.
»Kann ich dich zurückrufen?«, entgegnete Erlendur. »Ich bin hier in einer Besprechung.«
»Sag nur ja oder nein.«
»Ich rede später mit dir«, sagte Erlendur und brach das Gespräch ab.
»Hatte der Tod irgendeine besondere Bedeutung für María?«, fragte Erlendur. »Hat sie darüber viel nachgedacht?«
»Nicht besonders, glaube ich. Über so etwas haben wir gar nicht gesprochen, wir waren ja auch noch halbe Kinder. Allerdings fürchtete sie sich im Dunkeln. Das ist so ungefähr das, was ich von unserer Beziehung in Erinnerung behalten habe, sie hatte eine panische Angst, wenn es dunkel war. Sie konnte nach Einbruch der Dunkelheit kaum allein zu Hause sein. Deswegen glaube ich, dass sie bei Leonóra wohnen wollte. Trotzdem …«
»Was?«
»Trotz ihrer Phobie – oder vielleicht sogar gerade deswegen – hat sie dauernd Gespenstergeschichten und solche Bücher wie die Volkssagen von Jón Árnason und dergleichen gelesen. Am liebsten sah sie Horrorfilme über Wiedergänger und Untote und dieses ganze Zeugs. Darin hat sie sich total versenkt und traute sich dann abends kaum einzuschlafen. Sie konnte nie allein sein, immer musste jemand bei ihr sein.«
»Und vor was genau hat sie sich gefürchtet?«
»Das habe ich nie so richtig rausgekriegt, weil ich mich nicht für diesen Quatsch erwärmen konnte. Und Angst im Dunkeln habe ich noch nie gehabt. Vielleicht habe ich ihr nicht gut genug zugehört.«
»Und sie hat diese Angst kultiviert?«
»Es hatte ganz den Anschein.«
»Reagierte sie besonders sensibel auf ihre Umgebung? Hat sie ungewöhnliche Dinge gesehen oder gehört? Diese Angst vor der Dunkelheit, rührte die von etwas her, was sie erlebt oder von irgendwoher gekannt hat?«
»Das glaube ich nicht. Ich kann mich aber erinnern, dass sie manchmal nachts aufwachte und zur Tür blickte, so als sähe sie dort etwas. Das gab sich aber mit der Zeit. Meiner Meinung nach war das etwas, was sie aus ihren Träumen ins Wachsein verfolgte. Sie hatte selbst auch keine andere Erklärung dafür. Manchmal glaubte sie, irgendwelche Gestalten zu sehen. Das geschah aber zumeist, wenn sie in so einem Zustand zwischen Schlafen und Wachen war, dann spukte ihr etwas im Kopf herum.«
»Haben diese Gestalten mit ihr gesprochen?«
»Nein, das nicht, das waren Träume, wie ich schon gesagt habe.«
»Vielleicht liegt es nahe, in diesem Zusammenhang nach ihrem Vater zu fragen?«
»Ja,
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