Kälteschlaf - Indriðason, A: Kälteschlaf - Harðskafi
natürlich. Er war einer von denen.«
»Die sie gesehen hat?«
»Ja.«
»Ist sie zu spiritistischen Sitzungen gegangen, während ihr zusammen wart?«
»Nein.«
»Das hättest du gewusst?«
»Ja. So was hat sie nicht gemacht.«
»Diese Angst vor der Dunkelheit, wie hat sie sich geäußert?«
»Ganz normal, denke ich. Sie traute sich nicht allein in die Waschküche und ging kaum je allein in die Küche. Im ganzen Haus brannte Licht, und ich musste immer in Rufweite sein, wenn sie sich abends in der Wohnung bewegte, besonders wenn es spät geworden war. Sie mochte es nicht, wenn ich nicht da war, wenn ich nachts nicht bei ihr sein konnte.«
»War sie deswegen in Behandlung?«
»In Behandlung? Nein. Ist das nicht einfach etwas, was … Kann man sich wegen Angst vor der Dunkelheit behandeln lassen?«
Das wusste Erlendur nicht. »Vielleicht verstehen sich ja irgendwelche Psychiater darauf«, sagte er.
»Nein, davon war keine Rede, jedenfalls nicht, solange ich mit ihr zusammen war. Du solltest vielleicht ihren Ehemann danach fragen.«
Erlendur nickte. »Vielen Dank für deine Hilfe«, sagte er und stand auf.
»Kein Problem«, sagte Jónas und strich sich ein weiteres Mal über die gelbe Krawatte.
Zehn
Der Besuch des alten Mannes im Dezernat, der sich nach seinem verschollenen Sohn erkundigt hatte, beschäftigte Erlendur immer noch. Nur zu gern hätte er etwas für ihn getan, er wusste aber ganz genau, dass da kaum etwas zu machen war. Der Fall war schon seit Langem als nicht aufgeklärter Vermisstenfall archiviert worden. Am wahrscheinlichsten war, dass der junge Mann sich umgebracht hatte. Erlendur hatte versucht, mit den Eltern über diese Möglichkeit zu sprechen, aber für sie war das überhaupt nicht infrage gekommen. Ihr Sohn war lebensfroh und glücklich gewesen und hatte sich nie mit einem derartigen Gedanken getragen, ihm wäre es niemals eingefallen, seinem Leben ein Ende zu setzen.
Genau das sagten auch Daviðs Freunde, mit denen Erlendur seinerzeit gesprochen hatte. Den Gedanken, dass Davið sich das Leben genommen haben könnte, schlossen sie aus. Sie hielten das für vollkommen abwegig, konnten aber ansonsten nichts beitragen, was ihm weiterhalf. Davið hatte keinen Umgang mit irgendwelchen dubiosen Gestalten gehabt, die ihm möglicherweise nach dem Leben getrachtet hätten. Ein ganz normaler junger Isländer, der kurz vor dem Abitur stand und im nächsten Herbst zusammen mit seinen beiden besten Freunden Jura studieren wollte.
Erlendur saß jetzt bei einem dieser beiden Freunde im Büro. Es war an die dreißig Jahre her, seit sie zuletzt über Daviðs Verschwinden gesprochen hatten. Der Mann hatte Jura studiert und besaß jetzt zusammen mit zwei anderen Juristen eine große Kanzlei. Verglichen mit früher war er sehr viel behäbiger geworden; er hatte kaum noch Haare auf dem Kopf und müde Ringe unter den Augen. Erlendur hatte das Bild des angehenden Abiturienten von vor dreißig Jahren noch deutlich vor Augen. Er erinnerte sich an einen schlanken und sportlichen jungen Mann, der am Beginn des Lebens stand, das ihn jetzt gezeichnet hatte; er war ein Mann in den mittleren Jahren und sah mitgenommen und verbraucht aus.
»Weshalb kommst du jetzt wieder, um nach Davið zu fragen? Gibt es etwas Neues?«, fragte der Rechtsanwalt. Er setzte sich mit der Sekretärin am Empfang in Verbindung und bat darum, nicht gestört zu werden. Erlendur hatte sich von der lächelnden und nicht mehr ganz jungen Dame anmelden lassen.
Das war, zwei Tage nachdem Erlendur sich mit Marías früherem Freund unterhalten hatte. Elínborg hatte kopfschüttelnd erklärt, dass er nichts anderes bei der Arbeit machen würde, als sich mit irgendwelchen alten Vermisstenfällen herumzuschlagen. Erlendur hatte daraufhin gesagt, sie solle sich seinetwegen keine Sorgen machen. »Ich mach mir deinetwegen keine Sorgen«, hatte Elínborg erwidert, »sondern wegen der Steuerzahler, die dafür aufkommen müssen.«
»Nein, nichts Neues«, sagte Erlendur zu dem Rechtsanwalt. »Ich glaube, dass sein Vater nicht mehr lange leben wird. Es ist die letzte Gelegenheit, etwas zu unternehmen, bevor er stirbt.«
»Ich denke manchmal an ihn«, sagte der Rechtsanwalt, der Þorsteinn hieß. »Davið und ich waren gut befreundet, und es ist tragisch, dass man nie herausgefunden hat, was mit ihm geschehen ist. Wirklich tragisch.«
»Ich glaube, wir haben alles in unserer Macht Stehende getan«, sagte Erlendur.
»Daran zweifle ich nicht. Ich
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