Kälteschlaf - Indriðason, A: Kälteschlaf - Harðskafi
was in Þingvellir passiert ist, in gewissem Sinne Trost im Glauben fand. Es hat ihr geholfen und wahrscheinlich dem Mädchen auch. María war ein sehr liebes Kind, das lässt sich nicht anders sagen. Leonóra hat nie Probleme mit ihr gehabt. Sie lernte dann diesen Arzt kennen, der meiner Meinung nach ein vernünftiger Mann ist. Ich kenne ihn allerdings nicht besonders gut. Ich habe nach Marías Tod mit ihm gesprochen, er war natürlich zutiefst schockiert. Das sind alle, die sie kannten.«
»María hat Geschichte studiert«, sagte Erlendur.
»Ja, sie hatte Interesse an allem, was in der Vergangenheit lag. Sie las furchtbar viel, das hatte sie von ihrer Mutter.«
»Weißt du, was sie am meisten an Geschichte interessierte?«
»Nein, da bin ich mir nicht sicher«, antwortete Ingvar.
»Vielleicht irgendwas, das mit religiösen Dingen zu tun hatte?«
»Ja, stimmt, soweit ich weiß, hat ihr Interesse an einem Leben nach dem Tod stark zugenommen, nachdem ihre Mutter gestorben war. Danach hat sie sich intensiv mit Spiritismus beschäftigt und eben all diesen Spekulationen über ein Leben nach dem Tod.«
»Weißt du, ob María zu irgendwelchen Medien und spiritistischen Sitzungen gegangen ist?«
»Nein, keine Ahnung. Mir hat sie nichts davon erzählt. Hast du ihren Mann danach gefragt?«
»Nein«, sagte Erlendur. »Mir fiel das bloß so ein. Hast du bemerkt, dass sie depressiv war? Hättest du dir jemals vorstellen können, dass es so mit ihr enden würde?«
»Nein, auf keinen Fall. Wir trafen uns hin und wieder oder telefonierten miteinander, aber ich habe nicht bemerkt, dass es so … Eigentlich deutete alles eher auf das Gegenteil hin. Ich hatte den Eindruck, als ginge es ihr etwas besser. Als ich das letzte Mal mit ihr telefonierte, das war, ein paar Tage bevor … bevor sie diese Tat beging, wirkte sie auf mich energischer denn je, vielleicht sogar auch etwas optimistischer. Mir kam das wie ein Anzeichen von Besserung vor. Aber ich habe gehört, dass genau das manchmal passiert.«
»Was?«
»Dass Menschen anscheinend irgendwie kurzfristig aufleben, wenn sie diese Entscheidung getroffen haben.«
»Kannst du dir vorstellen, was für Auswirkungen es auf sie gehabt hat, dass sie als Kind Zeugin dieses Unfalls wurde?«
»Man kann sich natürlich nicht wirklich in ihre Lage hineinversetzen. María klammerte sich nach dem Unglück ganz und gar an ihre Mutter und hat Trost bei ihr gesucht. Leonóra hat die ersten Monate und sogar noch Jahre nach dem Unfall das Kind kaum aus den Augen gelassen. Natürlich prägt so etwas zutiefst und lässt einen wohl nie wieder los.«
»Ja«, sagte Erlendur. »Sie haben gemeinsam um ihn getrauert.«
Ingvar schwieg.
»Hast du eine Ahnung, weshalb der Motor versagte?«, fragte Erlendur.
»Nein. Es hieß, dass sich die Schraube gelöst hatte. Mehr wussten wir nicht.«
»Vielleicht hat er daran herumhantiert?«
»Magnús? Nein. Der hatte doch keine Ahnung von so etwas. Für Technik hat er sich nie interessiert, da bin ich mir ziemlich sicher. Aber wenn du mehr über Magnús wissen willst, solltest du mit seiner Schwester Kristín sprechen. Sie kann dir vielleicht weiterhelfen. Rede mit ihr.«
Am gleichen Tag traf sich Erlendur mit einem früheren Schulkameraden von María. Er hieß Jónas und war Finanzmanager bei einem Pharma-Unternehmen. Sein Büro war sehr geräumig. Jónas war tadellos gekleidet; er trug einen maßgeschneiderten Anzug und dazu eine knallgelbe Krawatte. Er war groß und schlank und hatte einen Dreitagebart. Er erinnerte ein wenig an Sigurður Óli. Erlendur hatte sich telefonisch mit ihm in Verbindung gesetzt, und Jonas hatte sich nicht wenig darüber gewundert, dass weitere Nachforschungen im Zusammenhang mit dem Tod seiner ehemaligen Mitschülerin angestellt wurden, vor allem darüber, was er damit zu tun haben sollte; er stellte aber keine Fragen, die Erlendur in Verlegenheit brachten.
Erlendur wartete, bis Jónas ein Telefongespräch beendet hatte, das er unbedingt führen musste, irgendetwas Dringendes aus dem Ausland, soweit Erlendur verstand. In einem Regal sah er ein Foto von einer Frau und drei Kindern und ging davon aus, dass es sich um die Familie des Finanzmanagers handelte.
»Ja, es geht also um María. Stimmt es wirklich, was man so hört?«, fragte Jónas, als er endlich aufgelegt hatte. »Hat sie Selbstmord begangen?«
»Das ist korrekt«, antwortete Erlendur.
»Ich habe es gar nicht glauben können«, erklärte Jónas.
»Ihr habt
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