Kälteschlaf - Indriðason, A: Kälteschlaf - Harðskafi
also noch am Leben gewesen?«
»Es hat den Anschein. Das Gespräch hat zehn Minuten gedauert.«
»Ihr Mann hat ausgesagt, dass sie ihn an dem Abend aus dem Ferienhaus angerufen hat.«
»Was geht eigentlich in deinem Kopf vor?«, fragte Sigurður Óli.
»Was meinst du damit?«
»Wieso beschäftigst du dich immer noch mit dieser Frau? Sie hat sich doch umgebracht. Bei dieser Sache gibt es doch gar keine offenen Fragen.«
»Ich weiß es nicht.«
»Du nimmst das wie einen Mordfall unter die Lupe, das ist dir doch hoffentlich klar?«
»Nein, das tue ich nicht«, erklärte Erlendur. »Ich glaube nicht, dass sie ermordet wurde. Ich will bloß wissen, weshalb sie Selbstmord begangen hat, das ist alles.«
»Was geht dich das an?«
»Nichts«, sagte Erlendur. »Rein gar nichts.«
»Ich dachte, du würdest dich bloß für Leute interessieren, die verschwinden.«
»Ein Selbstmord ist auch eine Art Verschwinden«, sagte Erlendur und beendete das Gespräch.
Das Medium nahm María an der Tür in Empfang und führte sie in die Wohnung. Sie sprachen eine ganze Weile miteinander, bevor die eigentliche Sitzung begann. Magdalena machte einen sehr sympathischen Eindruck auf María. Sie wirkte warm, verständnisvoll und feinfühlig, genau wie Andersen. Für María war es aber ein ganz anderes Gefühl, mit einer Frau zu reden. Magdalena gegenüber fühlte sie sich ungezwungener. Auch hatte es den Anschein, als verfüge Magdalena über stärkere seherische Kräfte. Sie war rezeptiver, sie wusste mehr, und sie sah weiter und mehr als Andersen.
Sie hatten im Wohnzimmer Platz genommen, und Magdalena führte langsam, aber sicher auf die eigentliche Séance hin. María schenkte der Wohnung oder dem Mobiliar kaum Beachtung. Baldvin hatte Magdalenas Nummer im Krankenhaus bekommen, und María hatte sich sofort mit ihr in Verbindung gesetzt und auch gleich einen Termin bekommen. María hatte das Gefühl, dass die Seherin allein lebte.
»Ich spüre eine große Nähe«, sagte Magdalena. Sie schloss die Augen und öffnete sie wieder. »Hier ist eine Frau«, fuhr sie fort. »Ingibjörg. Sagt dir das etwas?«
»Meine Großmutter hieß Ingibjörg«, sagte María. »Sie ist schon lange tot.«
»Sie ist sehr entfernt. Ihr hattet keine enge Beziehung.«
»Nein, ich habe sie kaum gekannt. Sie war die Mutter meines Vaters.«
»Sie ist voller Trauer.«
»Ja.«
»Sie sagt, du hättest keine Schuld an dem, was passiert ist.«
»Nein.«
»Sie spricht von einem Unfall«, sagte Magdalena.
»Ja.«
»Da ist ein See. Jemand, der ertrunken ist.«
»Ja.«
»Ein tragischer Unfall, sagt die alte Frau.«
»Ja.«
»Kennst du das vielleicht … Da ist ein Gemälde. Ist das ein Bild von einem See? Es ist ein Gemälde vom Þingvellir-See. Kennst du es?«
»Ja.«
»Vielen Dank. Hier ist … Hier ist ein Mann, der … Es ist undeutlich, ein Bild oder ein Gemälde … Hier ist eine Frau, die sich Lovísa nennt, kennst du sie?«
»Ja.«
»Sie ist mit dir verwandt.«
»Ja.«
»Danke. Sie ist jung … Ich … Kaum mehr als zwanzig.«
»Ja.«
»Sie lächelt. Da ist so viel Licht um sie herum, es ist ganz hell um sie herum. Sie lächelt. Sie sagt, dass Leonóra bei ihr ist und sich wohlfühlt.«
»Ja.«
»Sie lässt dir ausrichten, dass du dir keine Sorgen machen sollst … Leonóra geht es wunderbar. Sie sagt …«
»Ja?«
»Sie sagt, sie freut sich darauf, dich wiederzusehen.«
»Ja.«
»Sie möchte, dass du weißt, dass es ihr gut geht. Es wird wunderschön werden, wenn du auch kommst. Es wird wunderschön.«
»Ja?«
»Sie sagt, dass du keine Angst haben sollst. Sie sagt, dass du dir keine Sorgen machen sollst. Es wird alles gut gehen, was du vorhast. Zu was auch immer du dich entschließt, es wird … Sie sagt, dass alles gut gehen wird. Du brauchst dir keine Sorgen zu machen. Alles geht gut.«
»Ja.«
»Um diese Frau herum ist alles schön. Sie … Von ihr geht ein Strahlen aus … Sie sagt dir … Kommt dir das bekannt vor … Es ist ein Schriftsteller?«
»Ja.«
»Ein französischer Schriftsteller.«
»Ja.«
»Sie lächelt. Das ist … Diese Frau da bei ihr … Sie sagt, dass es ihr jetzt besser geht. All diese … All diese Qualen …«
Magdalena kniff die Augen zusammen.
»Jetzt verschwinden sie allmählich.«
Sie öffnete die Augen und brauchte eine Weile, um sich wieder zu fangen.
»War … War das in Ordnung?«
María nickte. »Ja«, sagte sie sanft. »Vielen Dank.«
Als María nach Hause kam,
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