Kälteschlaf - Indriðason, A: Kälteschlaf - Harðskafi
weißes Hemd mit Krawatte und dazu eine Jeans. Keinen Arztkittel. Doch das Stethoskop baumelte an seinem Hals. »Willst du dich nicht trotzdem hinlegen, damit ich dich abhorchen kann?«
»Nicht nötig«, sagte Erlendur und nahm auf einem Stuhl vor dem Schreibtisch Platz. Dagóbert setzte sich auf die Liege. Erlendur erinnerte sich an seinen ersten Besuch bei ihm, als der Arzt ihm erklärt hatte, wie der Herzschlag von Impulsen gesteuert wurde, die jedoch beeinträchtigt werden konnten. Meist war Stress die Ursache. Erlendur hatte nur wenig von dem, was er sagte, verstanden, aber immerhin so viel, dass es sich nicht um einen gefährlichen Zustand handelte, sondern sich mit der Zeit wieder geben würde.
»Was kann ich dann …?«, fragte Dagóbert.
»Es geht um etwas Medizinisches«, sagte Erlendur. Seit er auf den Gedanken verfallen war, den Spezialisten zurate zu ziehen, hatte er sich den Kopf darüber zerbrochen, wie er sich ausdrücken sollte. Er wollte weder mit jemandem im Polizeipräsidium noch mit einem Gerichtsmediziner sprechen, denn dann hätte er Erklärungen abgeben müssen.
»Gut. Um was genau?«
»Falls jemand vorhätte, jemand anderen zu töten, aber nur für etwa ein oder zwei Minuten, wie würde er das anfangen?«, fragte Erlendur. »Wenn man ihn gleich danach wiederbeleben würde, damit niemand merkt, was vorgefallen ist?«
Der Arzt sah ihn geraume Zeit an. »Weißt du von einem solchen Vorfall?«, fragte er.
»Danach wollte ich eigentlich dich fragen«, sagte Erlendur. »Ich kenne mich mit so etwas nicht aus.«
»Ich wüsste nicht, dass jemand das je vorsätzlich gemacht hätte, falls du das meinst«, sagte Dagóbert.
»Wie würde man das anstellen?«
»Das hängt von vielem ab. Was für Umstände schweben dir vor?«
»Da bin ich mir nicht sicher. Sagen wir mal, in einem Privathaus.«
Dagóbert sah Erlendur ernst an. »Haben Leute, die du kennst, mit so etwas herumexperimentiert?«, fragte er. Dagóbert wusste, dass Erlendur bei der Kriminalpolizei war, und deswegen war er der Meinung gewesen, dass Erlendurs Herzbeschwerden berufsbedingt waren, wie er sich ausgedrückt hatte. Zu Erlendurs Erleichterung verfiel Dagóbert selten in medizinisches Fachchinesisch.
»Nein«, sagte Erlendur. »Und es hat auch nichts mit einer Ermittlung zu tun. Ich bin nur durch eine alte Akte, die mir in die Hände gefallen ist, darauf aufmerksam geworden.«
»Du meinst, wie man einen Herzstillstand herbeiführt, ohne dass es nachgewiesen werden kann, und zwar so, dass der Betreffende überlebt.«
»Denkbar«, sagte Erlendur.
»Weshalb sollte jemand so etwas machen?«
»Das weiß ich nicht«, sagte Erlendur.
»Ich gehe davon aus, dass du zumindest ein paar Details hast.«
»Eigentlich nicht.«
»Ich kann dir nicht so recht folgen. Wie ich gesagt habe: Weshalb sollte jemand einen plötzlichen Herztod herbeiführen?«
»Ich weiß es nicht«, sagte Erlendur. »Ich hatte gehofft, dass du mir darauf eine Antwort geben könntest.«
»Vor allem ist darauf zu achten, dass keine Organe in Mitleidenschaft gezogen werden«, sagte Dagóbert. »Sobald das Herz aufhört zu schlagen, beginnt der körperliche Zerfall, sowohl Gewebe als auch Organe sind akut in Gefahr. Ich könnte mir vorstellen, dass diverse Medikamente, die einen todesähnlichen Zustand herbeiführen können, infrage kämen. Nach dem, was du sagst, könnte es aber um Hypothermie gehen. Ich kenne mich da allerdings nicht aus.«
»Hypothermie?«
»Kälteschlaf«, sagte der Arzt. »Damit wird zweierlei erreicht. Das Herz hört auf zu schlagen, wenn die Körpertemperatur unter eine gewisse Grenze gesunken ist. Im Grunde genommen stirbt man, doch die Kälte sorgt dafür, dass Körper und Organe konserviert werden. Die Kälte verlangsamt den Ablauf sämtlicher Körperfunktionen.«
»Wie wird man wieder zum Leben erweckt?«
»Wahrscheinlich durch Herzdruckmassage und eine rasche Enthypothermisierung anschließend, also eine rasche Wiedererwärmung.«
»Aber muss man sich schon extrem gut auskennen, um so etwas zu machen?«
»Unbedingt, etwas anderes kann ich mir nicht vorstellen. Da muss ein Arzt dabei sein, möglichst ein Herzspezialist. Und natürlich sollte das niemand zum Spaß machen.«
»Wie lange kann man einen Menschen in diesem Zustand halten, bevor es zu spät ist?«
»Also ich bin kein Spezialist in Sachen Hypothermie«, sagte Dagóbert lächelnd. »Es geht um einige wenige Minuten nach dem Herzstillstand, wahrscheinlich maximal vier
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