Kälteschlaf - Indriðason, A: Kälteschlaf - Harðskafi
lebte über seine Verhältnisse, aber wer macht das nicht heutzutage?«
»Stimmt«, sagte Erlendur und stand auf.
»Anscheinend ist es in Mode, so viele Schulden wie möglich zu machen«, sagte Jóhannes und brachte Erlendur zur Tür.
Erlendur gab ihm die Hand.
»Sie war aber durchaus eine schöne Magdalena«, sagte der Schauspieler. »Ein hübsches Mädchen.«
Erlendur hielt in der Tür inne. »Magdalena?«, fragte er.
»Ja. Eine schöne Magdalena, das war sie, die Karólína. Halt, rede ich jetzt Unsinn? Ich bringe ja schon alles durcheinander, die Rollen und die Schauspieler.«
»Wer war Magdalena?«, fragte Erlendur.
»Das war Karólínas Rolle in dem schwedischen Stück. Sie spielte eine junge Frau, die Magdalena hieß.«
»Magdalena?«
»Hilft dir das weiter?«
»Ich weiß es nicht«, sagte Erlendur. »Möglich.«
Erlendur saß in seinem Auto und dachte wieder über Zufälle nach. Er hatte bereits vier Zigaretten geraucht und verspürte leichtes Sodbrennen. Seit dem Morgen hatte er so gut wie nichts gegessen, und jetzt versuchte er, das Hungergefühl mit Rauchen zu betäuben. Durch einen kleinen Fensterspalt an der Tür beim Fahrersitz drang frische Luft ins Auto. Es war Abend. Er sah zu, wie die Herbstsonne hinter einer Wolkenschicht verschwand. Sein Auto stand in einiger Entfernung zu einem alten Einfamilienhaus im westlichen Teil von Kópavogur, und während er den Sonnenuntergang beobachtete, wanderten seine Blicke zwischendurch immer wieder zu dem Haus. Er wusste, dass sie allein lebte, und anscheinend war sie nicht sonderlich wohlhabend, sonst wäre das Haus besser instand gehalten worden. Es war lange nicht mehr angestrichen worden und sah etwas heruntergekommen aus; unter den Fenstern hatten sich rostfarbene Streifen gebildet. Er hatte niemanden ins Haus oder aus dem Haus kommen sehen. Ein kleines, klapprig wirkendes japanisches Auto stand davor. Die Leute in den umliegenden Häusern waren im Laufe des Spätnachmittags von der Arbeit, aus der Schule, von den Einkäufen in der Stadt oder von was auch immer nach Hause zurückgekehrt. Beinahe peinlich berührt verfolgte Erlendur ein typisches Familienleben hinter zwei Küchenfenstern, die direkt in seinem Blickfeld lagen.
Hier saß er seit Stunden in seinem Auto wegen eines solchen Zufalls und in einer Angelegenheit, von der er gar nicht wusste, weshalb er sich so intensiv damit befasste. Nichts wies auf etwas anderes hin als auf den tragischen Tod einer Frau, die am Rande des Abgrunds gestanden und eine Verzweiflungstat begangen hatte. Ihre ganze Vorgeschichte deutete darauf hin, sowohl der schwere Verlust ihrer Mutter als auch diese fixe Idee, was ein mutmaßliches Leben nach dem Tod anging. Er hatte bislang keinerlei Anhaltspunkte gefunden, die auf ein brutales Verbrechen hindeuteten. Doch auf einmal hatte er einen Namen gehört, der im Zusammenhang mit diesem Fall bereits einmal aufgetaucht war. Dieser Name setzte eine seltsame Assoziationskette bei ihm in Gang über die bereits bekannten oder noch unbekannten Verbindungen zwischen den Menschen, die die unglückliche Frau am See von Þingvellir gekannt hatten. Magdalena hatte das Medium geheißen, zu dem María ging. Erlendur wusste, dass Zufälle selten etwas anderes waren als entweder böse Streiche oder freudige Überraschungen, die einem das Leben bescherte. Sie waren wie der Regen, der gleichermaßen auf Gerechte wie auf Ungerechte niederging. Zufälle konnten Gutes oder Schlechtes bedeuten, sie bestimmten einfach größtenteils das Schicksal der Menschen. Sie kamen aus dem Nichts, unerwartet, seltsam und unerklärlich.
Erlendur hütete sich davor, solche Zufälle für etwas anderes zu halten als das, was sie waren. Aufgrund seiner Arbeit wusste er jedoch besser als andere, dass Zufälle manchmal inszeniert wurden. Man konnte sie geschickt in das Leben von Menschen platzieren, die ohne Argwohn waren. Dergleichen firmierte dann aber nicht mehr unter Zufall. Es gab unterschiedliche Bezeichnungen dafür, aber in Erlendurs Beruf nur eine, und das war Verbrechen.
Mitten in diesen Überlegungen leuchtete plötzlich das Außenlicht an dem Haus auf, das er observierte. Die Tür öffnete sich, und eine Frau trat heraus. Sie zog die Tür hinter sich zu, ging zu dem Wagen, der vor dem Haus geparkt war, stieg ein und fuhr los. Erst nach drei Startversuchen sprang das Auto endlich an, und sie fuhr mit ziemlichem Getöse weg. Erlendur vermutete, dass es der Auspuff war.
Er sah dem Auto nach,
Weitere Kostenlose Bücher