Kälteschlaf - Indriðason, A: Kälteschlaf - Harðskafi
gekannt?«
»Nein, überhaupt nicht. Gab es da etwas Verdächtiges an den Umständen, unter denen sie gestorben ist?«
»Nein«, antwortete Erlendur. »Hat es Baldvin überhaupt nichts ausgemacht, mit der Schauspielerei aufzuhören? Kannst du dich daran erinnern?«
»Ich war der Meinung, dass Baldvin immer genau das tat, was er wollte«, sagte Jóhannes. »So hat er auf mich gewirkt, so als würde er sich von niemandem etwas sagen lassen, ein entschlossener Junge, der seine eigenen Wege ging. Aber von anderen hörte ich, dass dieses Mädchen ihn derartig in ihren Bann gezogen hat, dass er komplett umschaltete. Außerdem war er kein besonders guter Schauspieler. Wahrscheinlich hat er das auch selbst eingesehen und ist zur Vernunft gekommen.«
»Bei diesen jungen Leuten, gab es da irgendwelche private Beziehungen zwischen ihnen?«, fragte Erlendur, während er die Tasse mit dem Kräutertee von sich wegschob.
»In diesem Jahrgang?«
»So das Übliche«, antwortete Jóhannes. »Da läuft so einiges, von unterschiedlicher Dauer. Manche aus diesem Jahrgang haben in der Zeit geheiratet. So was passiert immer wieder.«
»Und Baldvin?«
»Meinst du, bevor er seine Frau getroffen hat? Tja, da kann ich dir nicht viel weiterhelfen. Mir kam allerdings damals zu Ohren, dass er in Karólína verliebt sei. Die war im gleichen Jahrgang wie er. Hübsch genug war sie, aber sie hatte überhaupt keine schauspielerische Begabung, und entsprechend hat sie auch keine Rollen bekommen. Ehrlich gesagt habe ich keine Ahnung, weshalb sie überhaupt zugelassen wurde. Das habe ich nie begriffen.«
»Ist sie denn Schauspielerin geworden?«, fragte Erlendur, der es bedauerte, sich in der Welt des Theaters nicht besser auszukennen.
»Ja, aber ihre Karriere war kurz und eigentlich völlig unbedeutend. Ich glaube nicht, dass sie viele Jahre gespielt hat, und meist hat sie nur unwichtige Nebenrollen bekommen. Einmal hat man ihr eine große Rolle anvertraut, aber sie erhielt so verheerende Kritiken, dass das wohl auch das Aus für sie bedeutete.«
»Was für eine Rolle war das?«, fragte Erlendur.
»Irgend so ein schwedisches Problemstück, das damals einigermaßen erfolgreich war. Auf Isländisch hieß es Hoffnungsfeuer . Ich habe keine Ahnung, warum das Stück überhaupt zur Aufführung kam. Schon damals war diese Art von Küchendramen längst überholt.«
»Ja«, sagte Erlendur, der nicht die geringste Ahnung von schwedischen Theaterstücken hatte.
»Es stammte von einem damals ziemlich beliebten Dramatiker.«
Erlendur nickte mit leerem Kopf.
»In einem tat Karólína sich aber hervor. Niemand sehnte sich mehr danach, berühmt zu werden, ein Star zu werden, eine Diva zu sein, als sie. Ich glaube, das war letztlich der einzige Grund, weshalb sie unbedingt Schauspielerin werden wollte. Andere dagegen hatten vielleicht die Schauspielkunst als solche im Sinn und die Bildung, die sie einem verleiht. Karólína war in dieser Hinsicht ein bisschen überdreht. Sie hatte aber einfach nicht das Zeug dazu, sie war unbegabt. Egal, was wir im Unterricht versuchten. Es war völlig zwecklos.«
»Aber diese eine Rolle hat sie bekommen?«
»Die Rolle in Hoffnungsfeuer war gar nicht mal so schlecht«, sagte Jóhannes und trank seinen Tee. »Aber Karólína war unmöglich. Ein vollkommen hoffnungsloser Fall, die Ärmste. Danach hat sie sich, glaube ich, so gut wie ganz zurückgezogen. Aber egal, Baldvin und sie waren in diesen Jahren zusammen. Dann hat er aber eine andere geheiratet und Kinder … Nein, sie haben gar keine gehabt, oder?«
»Nein«, sagte Erlendur, der erstaunt feststellte, wie gut der alte Schauspiellehrer Bescheid wusste. Nichts schien seinen großen Ohren zu entgehen.
»Vielleicht war es das, was die Frau belastet hat, die Kinderlosigkeit?«, sagte er.
Erlendur zuckte mit den Achseln. »Ich weiß es nicht.«
»Sie hat sich erhängt, nicht wahr?«
Erlendur nickte.
»Und Baldvin, wie hat er darauf reagiert?«
»So wie man auf so etwas reagiert, glaube ich.«
»Ja, wie reagiert man auf so etwas? Ich weiß es nicht. Ich habe Baldvin vor einigen Jahren getroffen, als er meinen Arzt im medizinischen Versorgungszentrum vertrat. Ein durchaus liebenswürdiger Zeitgenosse. Ich kann mich erinnern, dass Baldvin ständig knapp bei Kasse war. Bei irgendwem hatte er immer Schulden. Sogar von mir hat er sich manchmal Geld geliehen, bis ich ihm eines Tages klipp und klar gesagt habe, er würde keine einzige Krone mehr von mir bekommen. Er
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