Kaeltezone
Mein Auskommen hing von diesem Unternehmen ab, und ich musste an meine Angestellten denken. Obwohl die Firma nicht sehr groß war, haben wir ganz gutes Geld gemacht, als sie anfingen, die Kraftwerke bei Búrfell und Sigalda zu bauen. Da fehlten Maschinen. An den Kraftwerken haben wir uns eine goldene Nase verdient. Das war genau zu dieser Zeit. Die Firma vergrößerte sich, und ich hatte genügend anderes zu tun.«
»Und dann hast du einfach versucht, das Ganze zu verdrängen?«
»Genau. Ich war immer der Meinung, dass mich das nichts anginge. Weil der Hersteller darauf bestand, dass ich diesen Mann einstellte, habe ich es getan, aber persönlich ging es mich nicht das Geringste an.«
»Hast du dir damals Gedanken darüber gemacht, was aus ihm geworden sein könnte?«
»Nein. Er hatte diesen Termin in Mosfellssveit, ließ sich dort aber nicht blicken, soweit man weiß. Vielleicht hatte er es einfach aufgegeben oder ihn auf den nächsten Tag verschoben. Das ist denkbar. Vielleicht hatte er etwas Dringenderes zu erledigen.«
»Du glaubst nicht, dass der Bauer, mit dem er verabredet war, gelogen haben könnte?«
»Da bin ich überfragt.«
»Wer hat sich wegen der Anstellung von Leopold mit dir in Verbindung gesetzt? Er selber?«
»Nein, nicht er selber. Da hat sich jemand aus dieser DDR-Botschaft an der Ægisíða an mich gewandt. Eigentlich war es eine kleine Handelsvertretung und keine richtige Botschaft, die sie damals hier in Island unterhielten. Später haben sie sich dann vergrößert. Wir haben uns übrigens in Leipzig getroffen.«
»In Leipzig?«
»Wir sind einmal im Jahr zur Leipziger Messe gefahren. Dort wurden alle möglichen Industriemessen veranstaltet, und von hier aus fuhr immer eine ziemlich große Delegation hin. Ich meine, von den Firmen, die Geschäftsbeziehungen zu den Betrieben in der DDR unterhielten.«
»Wer war der Mann, der damals mit dir gesprochen hat?« »Er hat sich nie vorgestellt.«
»Kommt dir der Name Lothar bekannt vor? Lothar Weiser? Er war Deutscher.«
»Nie gehört. Lothar Weiser? Der Name ist mir noch nie untergekommen.«
»Kannst du mir diesen Mann aus der Botschaft beschreiben?«
»Das ist alles so lange her. Er war ziemlich stämmig und gar nicht mal unsympathisch, würde ich sagen, wenn er mich nicht dazu gezwungen hätte, diesen Leopold einzustellen.«
»Findest du nicht, dass du seinerzeit die Polizei darüber hättest informieren müssen? Siehst du nicht, dass das ein anderes Licht auf den Fall geworfen hätte?«
Benedikt zögerte, dann zuckte er mit den Achseln.
»Ich habe versucht, weder mich noch meine Firma damit zu belasten. Und ich fand, dass mich das wirklich nichts anging. Dieser Mann hatte nichts mit mir zu tun, und er hatte im Grunde genommen genauso wenig mit der Firma zu tun. Ich wurde unter Druck gesetzt. Was sollte ich tun?«
»Kannst du dich an die Verlobte von diesem Leopold erinnern?«
»Nein«, sagte Benedikt nachdenklich. »Nein, das kann ich nicht behaupten. War sie …«
Sein Verstummen deutete darauf hin, dass er nicht so recht wusste, was er eigentlich über die Frau sagen sollte, die den Mann, den sie liebte, verlor und nie erfuhr, was aus ihm geworden war.
»Ja«, sagte Erlendur. »Sie war untröstlich. Und ist es immer noch.«
Der Tscheche Miroslav lebte in Südfrankreich. Er war zwar nicht mehr der Jüngste, aber sein Gedächtnis funktionierte noch einwandfrei. Er sprach Französisch und Englisch und erklärte sich bereit, sich telefonisch mit Sigurður Óli zu unterhalten. Patrick Quinn von der amerikanischen Botschaft hatte das Gespräch vermittelt. Der Tscheche war seinerzeit in seinem Heimatland wegen Spionage verurteilt worden und hatte einige Jahre im Gefängnis verbracht. Er war aber als Spion weder besonders umtriebig noch erfolgreich gewesen. Deswegen hatte er wohl den größten Teil seiner Laufbahn im auswärtigen Dienst in Island verbracht. Er betrachtete sich selbst nicht als Spion, sondern erklärte, dass er der Versuchung nicht widerstehen konnte, als ihm Geld dafür angeboten wurde, einen Kontaktmann in der amerikanischen Botschaft auf dem Laufenden zu halten, falls sich etwas Ungewöhnliches in seiner Botschaft oder in denen der anderen Ostblockstaaten zutrug. Er hatte aber nie etwas zu berichten gehabt, da auf Island ja nichts passierte.
Inzwischen war der Sommer fortgeschritten. Während der Sommerpause war das Skelett im Kleifarvatn vollständig in Vergessenheit geraten. In den Medien wurde mit keinem Wort
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