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Kaeltezone

Kaeltezone

Titel: Kaeltezone Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnaldur Indridason
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mit dieser unmaskierten Bösartigkeit zu tun, die Stalin daraus gemacht hat, oder mit diesen grotesken Diktaturen, die in Osteuropa entstanden.«
    »Aber haben nicht alle in den Jubelchor eingestimmt und der Täuschung Vorschub geleistet?«, fragte Erlendur.
    »Ich weiß es nicht«, sagte Hannes. »Ich habe es jedenfalls nicht getan, nachdem ich durchschaut hatte, wie der Sozialismus in der DDR in die Tat umgesetzt wurde. Daraufhin bin ich allerdings abgeschoben worden, weil ich nicht willfährig genug war. Weil ich nicht bereit war, den entscheidenden Schritt zu tun und als Denunziant bei dieser Überwachung von Personen mitzumachen. Sie fanden es in Ordnung, dass Kinder ihre Eltern bespitzelten und meldeten, wenn sie nicht mit der Parteilinie konform gingen. So etwas hat nichts mit Sozialismus zu tun. Es ist nur die Angst davor, die Macht zu verlieren. Was dann zum Schluss ja auch geschah.«
    »Was meinst du damit, den entscheidenden Schritt zu tun?«, fragte Erlendur.
    »Sie verlangten von mir, meine isländischen Freunde zu bespitzeln. Ich habe mich geweigert. Aus verschiedenen anderen Gründen hatte ich einen Widerwillen gegen das entwickelt, was ich dort sah und hörte. Ich ging nicht mehr zu den Pflichtveranstaltungen. Ich kritisierte das System. Selbstverständlich nicht öffentlich, das tat man einfach nicht, sondern man kritisierte die Mängel des Systems in kleinen Gruppen von Freunden und Gleichgesinnten, unter guten Bekannten. Es gab oppositionelle Gruppen in der Stadt, junge Leute, die sich heimlich trafen. Ich habe sie kennen gelernt. Habt ihr diesen Lothar im Kleifarvatn gefunden?« »Nein«, erwiderte Erlendur. »Oder besser, wir wissen nicht, wer das ist.«
    »Wer waren diese ›sie‹, die von dir verlangt haben, dass du deine Kameraden bespitzeln solltest?«, fragte Elínborg.
    »Zum Beispiel Lothar Weiser.«
    »Warum er?«, bohrte Elínborg weiter. »Weißt du das?«
    »Angeblich war er auch immatrikuliert, aber das war meines Erachtens kein richtiges Studium, und er hatte völlig freie Hand in allem. Er sprach fließend Isländisch, und es kam einem so vor, als arbeitete er für die SeD oder die FDJ, was sowieso alles in einen Topf gehörte. Es war offensichtlich eine von seinen Aufgaben, die Studenten auszuhorchen und sie möglichst zur Mitarbeit zu bewegen.«
    »Was für eine Mitarbeit?«, fragte Elínborg.
    »Da gab es diverse Möglichkeiten«, sagte Hannes. »Wenn man von jemandem wusste, dass er Westsender hörte, dann sagte man den FDJ-Funktionären Bescheid. Wenn jemand erwähnte, dass er keine Lust hatte, sich für die Aufräumarbeiten in den Trümmern zu melden oder für andere freiwillige Arbeitseinsätze, gab man diese Informationen an sie weiter. Es gab aber auch ernstere Fälle, beispielsweise wenn jemand klassenfeindliche oder staatsgefährdende Äußerungen von sich gab. Falls jemand nicht an den Aufmärschen teilnahm, wertete man das als ein Indiz für parteifeindliche Anschauungen und nicht etwa Faulheit. Alles wurde minutiös überwacht, und Lothar gehörte zu denen, die das organisierten. Wir waren gehalten, unseren gesamten Bekanntenkreis zu bespitzeln. Man zeigte nicht die richtige innere Einstellung, wenn man die anderen nicht denunzierte.«
    »Könnte es sein, dass Lothar andere Isländer dazu gebracht hat, da mitzumachen?«, fragte Erlendur. »Dass er von jemand anderem verlangt hat, seine Freunde zu bespitzeln?« »Es geht nicht um die Frage, ob er das gekonnt hat. Ich bin mir völlig sicher, dass er es versucht hat«, sagte Hannes. »Ich könnte mir vorstellen, dass er sich jeden Einzelnen vorgeknöpft und es versucht hat.«
    »Und?«
    »Und nichts.«
    »Wurde man dafür belohnt, wenn man zur Mitarbeit bereit war, oder hat man nur aus ideologischen Gründen seine Nächsten bespitzelt?«, fragte Elínborg.
    »Es gab diverse Vergünstigungen für diejenigen, die sich bei diesen Leuten lieb Kind machten. Ein schlechter Student, der linientreu und politisch korrekt war, erhielt manchmal höhere Stipendien als ein überdurchschnittlich guter Student mit viel besseren Noten, der sich politisch nicht engagierte. So war das System. Wenn ein unerwünschter Student von der Universität gewiesen wurde, wie es zum Schluss mit mir geschah, war es wichtig für die Kommilitonen, ihre Gesinnung zu offenbaren und sich ausdrücklich zur Parteilinie zu bekennen. Man hatte Vorteile davon, wenn man zeigte, wie parteikonform und linientreu man war. Die FDJ an der Universität sorgte dafür,

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